Von Andreas Steinhardt 12.06.2024 um 19:16 Uhr | melden
Zur heutigen Gedenkkerze ein Gedicht von Erich Kästner, welches im Juni beginnt und uns heiter durch die Jahreszeiten führt.
Die "Schafskälte" hat uns in diesen Tagen voll im Griff, ein Tief aus Nordeuropa liegt über uns.
Die folgenden Verse von Kästner hätten meinem Großvater sicherlich sehr gefallen - falls er diese nicht auch kannte - er trug mir häufig Gedichte vor, meist solche, die etwas aus dem Rahmen fielen und eine gewisse Heiterkeit inne hatten...
Der Juni
von Erich Kästner
Die Zeit geht mit der Zeit: Sie fliegt.
Kaum schrieb man sechs Gedichte,
ist schon ein halbes Jahr herum
und fühlt sich als Geschichte.
Die Kirschen werden reif und rot,
die süßen wie die sauern.
Auf zartes Laub fällt Staub, fällt Staub,
so sehr wir es bedauern.
Aus Gras wird Heu. Aus Obst Kompott.
Aus Herrlichkeit wird Nahrung.
Aus manchem, was das Herz erfuhr,
wird, bestenfalls, Erfahrung.
Es wird und war. Es war und wird.
Aus Kälbern werden Rinder
Und weils zur Jahreszeit gehört,
aus Küssen kleine Kinder.
Die Vögel füttern ihre Brut
und singen nur noch selten.
So ists bestellt in unsrer Welt,
der besten aller Welten.
Spät tritt der Abend in den Park,
mit Sternen auf der Weste.
Glühwürmchen ziehn mit Lampions
zu einem Gartenfeste.
Dort wird getrunken und gelacht.
In vorgerückter Stunde
tanzt dann der Abend mit der Nacht
die kurze Ehrenrunde.
Am letzten Tische streiten sich
ein Heide und ein Frommer,
obs Wunder oder keine gibt.
Und nächstens wird es Sommer.
Emil Erich Kästner, *23. Februar 1899 in Dresden, +29. Juli 1974 in München.
Kästner war ein dt. Schriftsteller, Publizist, Drehbuchautor und Kabarettdichter -
"Das doppelte Lottchen" oder "Emil und die Detektive" werden fast jedem etwas sagen.
Er zählt zu den Autoren von Weltgeltung. 1959 bekam Kästner das Große Bundesverdienstkreuz.