Von Andreas Steinhardt 24.10.2023 um 20:19 Uhr | melden
Zur heutigen Gedenkkerze ein heiteres Gedicht von Fred Endrikat
über "Reisefrust statt Reiselust" - wie passt dies zu Theresia?
Nun, meine Großmutter Thea war immer hin- und hergerissen zwischen der Lust einmal zu verreisen, der Unlust
meines Opas das Heim auch nur einmal im Jahr für wenigstens ein paar Tage zu verlassen, wie ihre innere Zerrissenheit,
ob dies denn nun alles Sinn mache, Fernweh gepaart mit der eigentlichen Überzeugung, das der Aufwand einer Reise
einfach zu groß wäre, und das es Zuhause doch immer noch am schönsten sei...
Theresia träumte von Ferien in Bayern, in Österreich - am größten war aber ihr Wunsch, einmal noch zurück in ihre ostpreußische Heimat zu kommen. Dieser Wunsch hat sich leider nie erfüllt. "Nirgendwo ist Wuttrienen", sagte meine Großmutter öfter, in Anlehnung an das Buch "Nirgendwo ist Poenichen" von Christine Brückner von 1977, mit den Gedanken an ihre Kindheit und Jugend im Ermland, dem letzten Zipfel Masurens.
Da sie sich nie zu einem Urlaub durchringen konnte, zumal ihr Mann, mein Großvater Wilhelm (siehe dazu bei Interesse seine eigene Seite Wilhelm Remiorz, Gedenkkerze zum heutigen Tage zum selben Thema) und Opa Willi sich bei dem bloßen Gedanken an Verreisen offenbar schauderte) - genoss Oma Theresia jeden Tagesausflug zu ihren Schwestern nach Bonn, nähe Marburg, zu ihrem Enkel, meinem Bruder in die Stadt Marburg - einmal aus dem Alltagstrott herauskommen, etwas anderes sehen - war für meine Großmutter das Allergrößte.
Auch nahmen wir meine Oma häufiger mit zu Wochenendtrips,
beispielshalber ins liebliche Bad Orb im Spessart, welches meine Elter, aber auch ich als Kind - liebte. Handzahme Rehe und Eichhörnchen, welche man im Wildpark füttern konnte, der wunderschöne Kurpark, die historische Fachwerkaltstadt waren Theresia eine willkommene Abwechslung.
"Nirgendwo ist Wuttrienen" - ihre einst größte Reise, das Verlassen
der Heimat und Zuzug ins Ruhrgebiet - fand nie einen seelischen Abschluss, Frieden, Ruhe, ein Wiedersehen, eine Rückfahrkarte...
Sommerfrische
Man soll nicht in die Sommerfrische gehen,
man wird doch seines Lebens nicht so richtig froh.
Ob da nun Berges- oder Meereslüfte wehen,
auf dem Balkon zu Hause weht es grade so.
Man wird gepiesackt von den Schnaken und den Mücken,
im Meer die Quallen sind auch nicht sehr angenehm.
Und dann an alle Welt das Ansichtskartenschicken.
Nee, nee, mir ist schon mies von alledem.
Ich frage Sie: Ist das vielleicht Erbauung,
wenn man da schwitzend auf die Berge klimmt?
Und dann: Das fremde Wasser stört mir die Verdauung.
Lass mich in Ruh mit diesem ganzen Zimt.
Was brauch ich Schwarzwald? Ich hab’ eine Edeltanne
und lass’ den Ventilator durch mein Zimmer wehn.
Statt in den See, kriech’ ich in meine Badewanne.
Nee, nee, man soll nicht in die Sommerfrische gehn.
Fred Endrikat, *07. Juni 1892 in Nakel an der Netze, heutiges
Nakto nad Notecia, poln. Woiwodschaft Mujawen-Pommern,
+12. August 1942 in München. Endrikat war ein deutscher
Schriftsteller, Dichter und Kabarettist.
Kurze Anmerkung: Gleich, wie oft man diesen Text verändert,
das System gliedert die Absätze nach Belieben, mal im Blocksatz,
mal ziemlich konfus. Ärgerlich...