Von Andreas Steinhardt 16.09.2023 um 16:44 Uhr | melden
Zur Gedenkkerze ein Gedicht von Hermann Hesse, passend zum Spätsommer/Frühherbst.
Genießen Sie die warmen, sonnigen Tage kurz vor dem astronomischen Herbstanfang? Meine Oma Thea würde jetzt
mit ihrem Mann gemütlich im Schatten ihres alten Apfelbaums
sitzen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen...
Spätsommer
Noch schenkt der späte Sommer Tag um Tag
Voll süßer Wärme. Über Blumendolden
Schwebt da und dort mit mildem Flügelschlag
ein Schmetterling und funkelt sammetgolden.
Die Abende und Morgen atmen feucht
Von dünnen Nebeln, deren Naß noch lau.
Vom Maulbeerbaum mit plötzlichem Geleucht
Weht gelb und groß ein Blatt ins sanfte Blau.
Eidechse rastet auf besonntem Stein,
Im Blätterschatten Trauben sich verstecken.
Bezaubert scheint die Welt, gebannt zu sein
In Schlaf, in Traum, und warnt dich, sie zu wecken.
So wiegt sich manchmal viele Takte lang
Musik, zu goldener Ewigkeit erstarrt,
Bis sie erwachend sich dem Bann entrang
Zurück zu Werdemut und Gegenwart.
Wir Alten stehen erntend am Spalier
Und wärmen uns die sommerbraunen Hände.
Noch lacht der Tag, noch ist er nicht zu Ende,
Noch hält und schmeichelt uns das Heut und Hier.
Hermann Hesse (Pseudonym Emil Sinclair), *02. Juli 1877 in Calw, heutiges Baden-Württemberg, +09. August 1962 in Montagnola, CH.