Tabea
Maaß

Von Mama 31.12.2024 um 18:57 Uhr | melden

Hallo meine kleine große Tabea,

und wieder geht ein Jahr auf dieser Erde ohne dich zu Ende.
Es war vollgestopft mit viel Arbeit und vielen Ereignissen, sodass wir nicht viel Zeit zum nachdenken hatten. Gerade genießen wir die Ruhe, bevor es im neuen Jahr genauso weiter geht ;-)

Manchmal merkt man noch viel mehr als sonst, dass du hier unten fehlst. Zum Beispiel bei unserem Singspiel an unserer Gemeindeweihnachtsfeier. Alle Kinder und sogar einige Jugendliche und Erwachsene haben mitgemacht. Trotzdem hatten wir kurz vor der Aufführung beinahe keine Maria, sodass eine Mama eingesprungen ist. Vielleicht wäre das deine Rolle gewesen. Hättest du gerne eine Rolle mit etwas mehr Sprechtext gehabt? Hättest du gerne geschauspielert? Andererseits hättest du dann zusammen mit deinem Bruder Maria und Josef gespielt - wer weiß, wie ihr das gefunden hättet :-)

Oder als dein Bruder im November beim Klavier-Klassenvorspiel ein echt schweres Stück vorgespielt hat. Natürlich hatte er auch Lampenfieber, aber er hat es so cool durchgezogen! Genauso bei der Weihnachtsfeier mit der Blockflöte. Ob du auch ein Instrument gelernt hättest? Und welches?

Oder wenn ich die Mädels in der Klasse deines Bruders so sehe, die zum Teil schon richtige junge Damen sind - ob du wohl auch schon so ein Dämchen wärst? Oder noch verspielt und kindlich?

Oder wenn ich unser Enkelmädchen sehe, sie ist jetzt auch 3, so wie du in deinem letzten Jahr. Sie ist auch so aufgeweckt, fröhlich und gesprächig. Auch richtig schön ist es zu sehen, wie gerne sie mit deinem Bruder spielt oder sich von ihm Geschichten vorlesen lässt. Sie verstehen sich so gut. Bestimmt hättet ihr drei zusammen ganz viel Spaß gehabt!

Wie du dich wohl jetzt mit deinem Bruder verstehen würdest? Damals wart ihr sehr lieb miteinander. Jetzt wäre vielleicht richtiger Teenie-Terror angesagt ;-)

Und an Silvester denke ich auch immer an unseren ersten gemeinsamen Silvesterabend vor 14 Jahren zurück. Papa und deine große Schwester waren bei deinem Onkel zum feiern, die Tante war zur Kur. Ich war mit dir, unserem 2-Tage-alten Baby, noch in der Klinik und ich stand mit dir auf dem Arm am Fenster meines Zimmers mit herrlichem Blick auf die nächtlich erleuchtete Stadt und das Feuerwerk und ich hatte dennoch eine seltsam traurige Stimmung. Wahrscheinlich weil wir nicht mit unserer Familie zusammen sein konnten...

Oder ich denke an unsere letzte gemeinsame Silvesterfeier vor 11 Jahren. Du warst gerade 3 Jahre alt geworden, deine Krankheit war kurz zuvor entdeckt worden und wir hatten größte Sorgen und größte Hoffnung im Herzen. Und die Angst, dass wir dich verlieren könnten, saß uns im Nacken. Den Gedanken, dass du das alles zum letzten Mal erleben könntest, haben wir versucht wegzuschieben. Die Herzinsuffizienz war bereits in der höchsten Stufe diagnostiziert. Und dennoch ranntest du mit deinem Onkel und deinem kleinen Bruder wie verrückt im Kreis durch unser Haus und ihr habt euch fast kaputt gelacht vor Spaß. Ab und zu bist du stehen geblieben und hast geseufzt und durchgeschnauft, aber du bist immer wieder weiter gerannt, hast so viel Kraft gehabt, trotz aller Beschwerden.

Und dann denke ich an das erste Weihnachtsfest und Silvester ohne dich vor 10 Jahren. Es war still und ganz anders, wir hatten zuhause keinen richtigen Weihnachtsbaum, nur das künstliche Minibäumchen das wir für dein Krankenzimmer besorgt hatten. Die Familie hat uns umsorgt. Und dennoch fühlte ich mich zuhause und bei den Lieben fehl am Platze. Denn mein Platz hätte in diesen Tagen bei dir in der Klinik sein sollen. So wie in den vielen Monaten zuvor. Daran hatten wir uns gewöhnt. Leben in der Klinik, hoffen auf ein Spenderherz für dich mit dem gleichzeitig unguten Gefühl, dass eine andere Familie dafür den größten Schmerz ertragen muss. Diesen Widerspruch konnte ich nie ganz wegdrücken. Es war das letzte das ich wollte, dass eine andere Familie ihr Kind verliert. Und gleichzeitig war es unsere einzige Hoffnung. Ohne Worte...
Darauf hatten wir uns gefreut: die lieben Pflegerinnen und Pfleger in der Klinik hatten sich einige Überraschungen für dich überlegt. Und dein 4. Geburtstag stand bevor, zu dem unser größter Wunsch ein neues Herz für dich war. Das war auch dein Wunsch: ein schönes neues und rotes Herz wünschtest du dir, das mit einem Hubschrauber angeflogen käme... und nun war alles ganz plötzlich ganz anders. Alles vorbei, keine Hoffnung mehr, kein Grund weiter zu kämpfen. Alles leer, alles still.
Der einzige Trost: kein Leiden mehr für dich!!!
Kein anderes Kind musste sterben, damit du leben kannst.
Und die Hoffnung auf ein Wiedersehen... irgendwann...

Und wieder ein Grund, allen in der Klinik, die dich mit soooooo viel Herz betreut und umsorgt haben, die auch unsere Ängste, Verzweiflung und Hoffnung mitgetragen haben, von Herzen Danke für ihre großartige Arbeit zu sagen!!!!!
Ebenso allen aus unserem persönlichen Umfeld, die mit uns gehofft und gebetet haben, die uns getröstet und mitgetragen haben, von Herzen Danke dafür!!!

Nun bleibt mir nichts übrig, als dir ganz viele Küßchen in den Himmel zu schicken, auch zum verschenken an die vielen Kinder, an die heute vielleicht niemand mehr denkt. Und ganz viel Liebe und Sehnsucht und Gedankendrückerchen.

Vielleicht treffen sich unsere Blicke, wenn wir nachher in den Himmel zum Feuerwerk schauen und du vielleicht von oben aus dem Himmel herunter schaust...

In Liebe
Deine Mama