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Von Heike mit Christian 22.01.2017 um 21:52 Uhr | melden
Unsre Lebensalter sind die Lebensalter der Pflanze: wir gehen auf, wachsen, blühen, blühen ab und sterben. Ohn unsern Willen werden wir hervorgerufen, und niemand wird gefragt, welches Geschlechts er sein, von welchen Eltern er entsprießen, auf welchem Boden er dürftig oder üppig fortkommen, durch welchen Zufall endlich von innen oder von außen er untergehen wolle. In alle diesem muß der Mensch höhern Gesetzen folgen, über die er sowenig als die Pflanze Aufschluß erhält, ja denen er beinah wider Willen mit seinen stärksten Trieben dienet. Solange der Mensch wächst und der Saft in ihm grünet, wie weit und fröhlich dünkt ihm die Welt! Er streckt seine Äste umher und glaubt zum Himmel zu wachsen. So lockt die Natur ihn ins Leben hinein, bis er sich mit raschen Kräften, mit unermüdeter Tätigkeit alle die Fertigkeiten erwarb, die sie auf dem Felde oder Gartenbeet, auf den sie ihn gesetzt hat, diesmal an ihm ausbilden wollte. Nachdem er ihre Zwecke erreicht hat, verläßt sie ihn allmählich. In der Blütenzeit des Frühlings und unsrer Jugend, mit welchen Reichtümern ist allenthalben die Natur beladen! Man glaubt, sie wolle mit dieser Blumenwelt eine neue Schöpfung besamen. Einige Monate nachher, wie ist alles so anders! Die meisten Blüten sind abgefallen; wenige dürre Früchte gedeihen. Mit Mühe und Arbeit des Baumes reifen sie, und sogleich gehen die Blätter ans Verwelken. Der Baum schüttet sein mattes Haar den geliebten Kindern, die ihn verlassen haben, nach; entblättert steht er da; der Sturm raubt ihm seine dürren Äste, bis er endlich ganz zu Boden sinket und sich das wenige Brennbare in ihm zur Seele der Natur auflöset. Ists mit dem Menschen, als Pflanze betrachtet, anders?
Johann Gottfried Herder
Liebe Grüße
Heike