Robert Syrokowski

Robert
Syrokowski

10.08.1984
Deutschland BRD DE Gernany
-
01.12.2002
Landstraße Lübeck Bliestorf

Stimmungsbild-Robert-Syrokowski-1
ZurückAus dem Kondolenzbuch: 110 BEI ANRUF TOD

von BEI ANRUF TOD am 08.11.2024 - 11:45 Uhr | melden

110 – BEI ANRUF TOD

Zwei Polizisten setzen einen volltrunkenen Schüler in einer Winternacht an einem unbewohnten Ort nahe Lübeck ab. Kurz darauf wird er überfahren. Die Eltern glauben zunächst an einen tragischen Unfall. Dann beginnen sie, Fragen zu stellen

Wer sich in einer Dezembernacht ohne Mantel in die Einsamkeit der Kronsforder Hauptstraße bei Kilometer 10,6 stellt, kann das Entsetzen spüren, das Robert Syrokowski zuletzt gepackt haben muss. Bald umschließt die Kälte wie eine Klammer die Brust, die Finsternis steht wie eine Wand vor den Augen. Die Füße versinken in der eisigen Böschung, Robert war barfuß. Wenn Fahrzeuge vorbeidonnern, taucht in ihrem Scheinwerferkegel ganz kurz ein Holzkreuz am Straßenrand auf. Es erinnert daran, dass Robert in den frühen Morgenstunden des 1. Dezember 2002 hier starb – fast erfroren und auf der Fahrbahn sitzend. Da war er gerade 18.

Mehr als fünf Jahre später beschäftigt das Ende des Lübecker Gymnasiasten den Bundesgerichtshof. Robert ist nämlich nicht bloß das Opfer irgendeines tragischen Verkehrsunfalls – wäre er in jener Nacht nicht in die Hände der Polizei gefallen, würde er heute noch leben. Zwei Beamte hatten ihn in Gewahrsam genommen und dann an unbewohnter und ihm unbekannter Stelle ausgesetzt. Die beiden Polizisten sind vom Landgericht Lübeck am 31. Mai 2007 wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen von jeweils neun Monaten verurteilt worden. Ob das Urteil jetzt rechtskräftig wird oder ob die Umstände, die zum Tode des Jungen geführt haben, neu verhandelt und bewertet werden müssen, darüber wird der Dritte Strafsenat in Karlsruhe nächste Woche befinden.

Die letzte Nacht des Robert Syrokowski nimmt ihren Anfang in einer Landdiskothek im Weiler Groß Weeden, etwa 20 Kilometer von Lübeck entfernt. Es ist Sonnabend, Robert ist das erste Mal hier, seine Freunde haben ihn mitgebracht, in ihrer Gesellschaft trinkt er kräftig Bier und Wodka mit Orangensaft. Bei seinem Tod am Sonntag früh wird er immer noch fast zwei Promille im Blut haben. Um 2.45 Uhr verlässt der Junge die Diskothek allein und ohne seinen Kameraden Bescheid zu sagen. Will er frische Luft schnappen? Jedenfalls trägt er nur ein T-Shirt und darüber einen dünnen Baumwollpullover. Draußen ist es trocken, aber bitterkalt: vier Grad über null.

Eine Viertelstunde später findet eine Zivilstreife Robert etwa 300 Meter von der Disco entfernt an der Einfahrt zu einer Sondermülldeponie halb auf der Straße liegend. Er ist »leichenblass und nicht ansprechbar«. Die Beamten hüllen den Zusammengebrochenen in eine Wärmedecke und rufen den Rettungswagen. Robert kommt wieder zu sich und kann auch sagen, wie er heißt. Den Rettungsassistenten kommt Robert betrunken, aber nicht volltrunken vor – sie rücken wieder ab. Später werden sie angeben, den Jungen in der Obhut der Streifenbeamten zurückgelassen zu haben, die ihrerseits beteuern, ihn den Rettungsassistenten anvertraut zu haben. Wer die Unwahrheit sagt, wird nicht geklärt, sicher ist nur, dass Robert um 3.40 Uhr allein in der Nacht zurückbleibt.

Kurze Zeit später klingelt es kräftig an der Tür der Eheleute B., die mit ihren fünf Kindern das Haus an der Einfahrt zur Sondermülldeponie bewohnen. Herr B. öffnet, draußen steht ein sehr junger Mann und will herein. Es ist Robert, der leicht hin und her schwankt und mit halb geschlossenen Augen und schwerer Zunge behauptet, hier zu wohnen. »Meine Eltern haben dieses Haus gekauft«, sagt er schleppend. Vergeblich versuchen die B.s, dem – wie sie fälschlich glauben – unter Drogen stehenden Besucher den Unsinn auszureden. Robert, der mit seiner Familie tatsächlich am Vortag in ein neues Haus innerhalb Lübecks umgezogen ist, wankt ums Eigenheim der B.s, wobei er immerzu in sein Handy spricht. Schließlich versucht er von hinten durch den Wintergarten einzudringen. Er habe den Schlüssel vergessen, ruft er, aber er wisse schon, wie er hereinkomme. Er sei so müde und friere und wolle in sein Bett. Er kommt den B.s hilflos vor, »wie ein kleines Kind«.

Weil sich die B.s mit ihrem offensichtlich verwirrten Gast keinen anderen Rat wissen, wählen sie die Nummer, die jedem deutschen Bürger im Notfall Hilfe verspricht: 110. Daraufhin erscheinen Hans Joachim G. und Alexander M., zwei erfahrene Polizisten. Von der Einsatzleitstelle wissen sie bereits, dass eben gerade schon ein Polizeifahrzeug bei Robert Syrokowski gewesen ist. Mit dem Auftauchen der Beamten nimmt die Sache in den Augen der Eheleute B. eine befremdliche Wendung. »Ich bin der Präsident der Vereinigten Staaten«, stellt M. sich dem inzwischen unruhig hin und her trippelnden Robert vor, »und das«, er weist auf den Kollegen, »ist Micky Mouse.« Robert lächelt. Er scheint das Abwertende dieser Ansprache nicht zu begreifen. Die Beamten weisen ihn vom Gelände der B.s, und als Robert sich zum Gehen wendet, fahren auch sie ab.

Gleich danach kehren sie zurück, um zu prüfen, ob Syrokowski sich an das Verbot hält. Der hat inzwischen wieder versucht, von hinten in sein vermeintliches Elternhaus zu gelangen, und kommt den Beamten jetzt aus der Zufahrt zur Deponie entgegengelaufen. Dabei stürzt er schwer über die armdicke Stahlkette, die den Weg absperrt. Trotzdem erhebt er sich sofort und rennt wie ein Automat weiter, ohne auf Verletzungen zu achten oder sich den Staub abzuklopfen. Alexander M. erwischt Robert am Arm: »Jetzt ist Schluss, Freundchen, du kommst jetzt mit und kannst dich ausnüchtern.« Sie setzen den Jungen in den Fond des Polizeiwagens und fahren ab.

Das geschieht um 4.15 Uhr. Um 5.30 Uhr wird Robert zehn Kilometer nördlich, mitten in der stockdunklen Verlassenheit der Krummesser Heide, von einem Pkw erfasst und getötet werden. Doch wie ist er an diesen Ort gelangt?

Sämtliche Angaben über das, was Robert Syrokowski in diesen 75 Minuten widerfuhr, stammen von den beschuldigten Beamten – der einzige Zeuge ist tot. In der Hauptverhandlung behaupteten die Angeklagten, sie hätten Robert in sein Elternhaus nach Lübeck fahren wollen, der aber habe darauf bestanden, vorzeitig auszusteigen. Und weil er 18 Jahre alt gewesen sei, im Auto keinen betrunkenen, sondern einen durchaus vernünftigen Eindruck gemacht habe, außerdem im Besitz eines Handys gewesen sei und sich ein Taxi habe rufen wollen, habe man ihn einige Kilometer vor Lübeck an einer durch Straßenlaternen beleuchteten Stelle hinter dem Elbe-Lübeck-Kanal abgesetzt.

Diese fürsorgliche Version hat das Landgericht Lübeck den Beamten nicht geglaubt. Die Richter waren vielmehr davon überzeugt, dass Alexander M. und Hans Joachim G., die zur Polizei Ratzeburg gehören, den orientierungslosen Jungen aus ihrem Zuständigkeitsbereich heraus auf Lübecker Stadtgebiet transportieren wollten, um ihren Platzverweis durchzusetzen und »einen Störer los zu sein«. Sie hätten den geistig Beeinträchtigten, lediglich mit einem Pullover Bekleideten in der Winternacht im Stich gelassen, ohne zu prüfen, ob sein Handy funktioniert, ob er Geld dabei hat und ob er überhaupt weiß, wo er sich befindet.

Warum sonst hätten die Beamten gegen die Vorschriften verstoßen und ihrer Einsatzleitstelle die 15-minütige Fahrt mit Robert verschweigen sollen, wie sie es getan haben? Robert hatte nur noch 1,90 Euro in der Tasche, die Fahrt nach Hause konnte er gar nicht bezahlen. Auch war ihm die Gegend hinter dem Elbe-Lübeck-Kanal völlig fremd, welche Adresse hätte er dem Taxi nennen sollen? Und hatte er wirklich den richtigen Taxenruf im Kopf?

Fest steht, dass Robert noch im Polizeiauto sitzend auf seinem Handy vier Mal die Notrufnummer 110 gewählt hat – hatte er Angst? Fest steht auch, dass Robert – war er wirklich an der von den Beamten bezeichneten Stelle ausgesetzt worden – zwei Kilometer gelaufen sein musste, um zum Ort seines Todes zu gelangen. Und zwar zwei Kilometer in die falsche Richtung, weg von Lübeck durch den ganzen Ort Kronsforde hindurch und hinein in die pechschwarze Finsternis der Krummesser Heide. Darf man das glauben? Und warum haben ihn die Beamten – angenommen, er wollte wirklich selbst aussteigen –, nicht mitten in einer Ortschaft abgesetzt? Drei Dörfer haben sie mit Robert im Auto durchquert.

Der Lübecker Rechtsanwalt Klaus Nentwig, der Roberts Eltern als Nebenkläger im Prozess vertrat, hegt den Verdacht, dass der Junge gar nicht am Elbe-Lübeck-Kanal aus dem Polizeiwagen entlassen wurde, sondern vorher, auf einem unbeleuchteten Waldparkplatz unweit der Stelle, wo er starb. Diese Vermutung ist für die Verteidigung zwar nichts als »Spökenkiekerei«, würde aber erklären, warum der Junge sich bei Temperaturen um den Gefrierpunkt mitten im Nichts auf die Landstraße setzte: So konnte er auch im Zustand der totalen Erschöpfung ein vorbeikommendes Auto auf sich aufmerksam machen.

Um 5.30 Uhr knallt der VW Golf einer jungen Frau, die mit 90 Stundenkilometern über Land unterwegs ist, in den auf dem Asphalt sitzenden Gymnasiasten. Er stirbt noch am Unfallort. Robert trägt weder Schuhe noch Strümpfe, wahrscheinlich als Folge der sogenannten Kälte-Idiotie. Gerichtsmediziner kennen dieses Phänomen bei unterkühlten Betrunkenen: In eisiger Umgebung drängt es sie – von Hitzehalluzinationen irregeführt –, sich auszuziehen. Kälte-Idiotie ist ein Zeichen des nahenden Erfrierungstodes.

In der letzten Stunde seines Lebens hat der umherirrende Robert noch verzweifelt versucht, mit dem Handy eine Menschenseele zu erreichen: Seine Freundin hatte ihr Mobiltelefon abgestellt, bei allen anderen Nummern kamen die Gespräche nicht zustande. Auch zu Hause hat Robert es versucht, zwei Mal wollte er die Nummer seiner Eltern eingeben, beide Male hat er sich...

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