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von Info am 07.11.2024 - 15:45 Uhr | melden
Kiel - Mit diesem Urteil hat keiner gerechnet: Nicht Roberts Familie, nicht seine vielen Freunde - und am wenigsten die beiden angeklagten Polizisten.
Polizisten Alexander M. (l.), Hans Joachim G. im April 2007: "Ich hatte das Gefühl, dass er zusammenklappt"
Polizisten Alexander M. (l.), Hans Joachim G. im April 2007: "Ich hatte das Gefühl, dass er zusammenklappt" Foto: DPA
Die Schwurgerichtskammer des Kieler Landgerichts verurteilte Oberkommissar Alexander M. zu einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Aussetzung mit Todesfolge im minderschweren Fall.
Das Strafmaß für seinen Kollegen, Hauptmeister Hans Joachim G., beträgt neun Monate auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung. Der 58-Jährige schloss kurz die Augen, erleichtert atmete er auf. Seine Existenz ist gesichert, in zwei Jahren kann er in Rente gehen. Das bevorstehende Disziplinarverfahren - reine Formsache.
Doch sein 46 Jahre alter Partner ist erledigt. Seine Karriere ist ruiniert. Leichenblass folgte der sechsfache Vater im grauen Nadelstreifenanzug der fast eineinhalbstündigen Urteilsbegründung. "Ich hatte das Gefühl, dass er zusammenklappt", sagte seine Verteidigerin Annette Marberth-Kubicki SPIEGEL ONLINE. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, wird der Beamte nach mehr als 25 Jahren aus dem Polizeidienst entlassen. Was dann aus seiner achtköpfigen Familie werde, sei völlig offen, so seine Anwältin.
"Er hat den Tod von Robert verursacht"
In der Nacht zum 1. Dezember 2002 hatten die beiden Polizeibeamten den 18 Jahre alten Robert Syrokowski an einer abgelegenen Landstraße nahe Lübeck abgesetzt - leicht bekleidet, bei vier Grad Celsius und mit mehr als zwei Promille Alkohol im Blut.
Wenige Minuten später wurde der Gymnasiast von einem Auto überfahren, in den Graben geschleudert. Er starb noch an der Unfallstelle an seinen schweren Verletzungen. Staatsanwalt Achim Hackethal forderte deshalb in seinem Plädoyer am Dienstag ein Jahr Haft auf Bewährung für beide Polizisten - womit beide den Beamtenstatus verloren hätten.
Doch die Kammer unter Vorsitz von Richter Jörg Brommann nahm jetzt - anders als im ersten Verfahren - beim Urteil eine Differenzierung zwischen den beiden Angeklagten vor.
Über Alexander M. sagte Brommann: "Er hat den Tod von Robert verursacht. Daran besteht nicht ernsthaft Zweifel." Der Oberkommissar habe vorsätzlich gehandelt: Er habe erkannt, dass Robert alkoholisiert war; er habe gewusst, dass der 18-Jährige nicht den Temperaturverhältnissen entsprechend gekleidet, nicht orientiert und nicht Herr seiner Sinne gewesen sei.
"Völlig sinnlose Bemerkung" des Polizisten M.
Die flapsigen Sprüche des Beamten M. gegenüber dem betrunkenen Abiturienten, er sei "der Präsident der Vereinigten Staaten" und sein Kollege G. "Mickey Mouse", sei keine "Testfrage" gewesen, wie M. es vor Gericht glauben machen wollte, sondern schlichtweg eine "völlig sinnlose" Bemerkung.
M. habe Robert Syrokowski aus dem Streifenwagen entlassen, ohne sich von der Funktionsfähigkeit von dessen Handy zu überzeugen oder davon, ob er die Nummer eines Taxiunternehmens kannte. Insgesamt zweifelte die Kammer einen Großteil der Einlassungen des Polizeibeamten an.
Sein älterer Kollege habe zwar in jener Nacht "objektiv die gleichen Erkenntnisquellen" gehabt, urteilte Richter Brommann. Doch in dem Verfahren habe nicht eindeutig geklärt werden können, inwieweit Hauptmeister G. die Dialoge zwischen M. und Robert Syrokowski sowie anderen Tatbeteiligten bewusst wahrgenommen habe.
Demnach folgte die Kammer den Ausführungen der Nebenklage. "Das Kommando während der Fahrt wurde von M. allein ausgeführt. Er war die treibende Kraft", sagte Rechtsanwalt Klaus Nentwig aus Bad Schwartau im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Fast sechs Jahre lang kämpfte er im Namen von Roberts Eltern dafür, dass der Tod des Jungen aufgeklärt wird. "Meine Mandanten sind glücklich, dass das Gericht den Tatbestand der Aussetzung erfüllt sah."
Warum wählte Robert im Streifenwagen den Notruf 110?
Um das Strafmaß sei es ihnen nie gegangen, sagte Ewa Syrokowski, die verweinten Augen hinter einer Sonnebrille versteckt, SPIEGEL ONLINE. "Wir wollten nur, dass der Fall aufgeklärt wird. Dass es den einen Polizisten so schwer trifft, tut mir sehr leid. Seine Familie kann nichts dafür."
Während der Urteilsbegründung hatte Ewa Syrokowski zwischen ihrem Mann und Roberts jüngerer Schwester gesessen, alle drei hielten sich fest an den Händen. Als Richter Brommann noch einmal en detail die Nacht schilderte, in der Robert Syrokowski buchstäblich in die tödliche Katastrophe stolperte, konnte sie die Tränen nicht zurückhalten.
Die Kammer habe sich bemüht und lange beraten, erklärte Richter Brommann. Einiges habe nicht zweifelsfrei geklärt werden können. So zum Beispiel, warum Robert Syrokowski noch im Streifenwagen sitzend innerhalb einer Minute zweimal den Notruf 110 gewählt hat.
Außerdem hatte Robert Syrokowski in der letzten Stunde seines Lebens versucht, die Menschen telefonisch zu erreichen, die ihm nahe standen: Seine Eltern, seine Freundin, seinen besten Freund und andere. Doch entweder hatten die meisten Angerufenen ihre Telefone ausgeschaltet oder der 18-Jährige verwählte sich - er hatte die Nummern nicht gespeichert, sondern wählte sie gewohnheitsmäßig auswendig.
Warum fuhren die Beamten Robert nicht einfach nach Hause?
Auch dieser Umstand weckte bei die Kammer erhebliche Zweifel daran, dass Robert Syrokowski auf eigenen Wunsch aus dem Streifenwagen gestiegen war, wie es die beiden Polizisten behaupteten. "Er ließ erkennen, dass er fror, müde war und ins Bett wollte", sagte Brommann. Warum also fuhren ihn die Beamten nicht einfach nach Hause?
Nach Annahme des Gerichts überließen sie den Jungen nicht nur seiner Hilflosigkeit, sie verschlimmerten seine Situation noch.
Bei vielen Prozessbeobachtern wuchs in diesem zweiten Gerichtsverfahren das Unverständnis für das Verhalten der Polizisten. Zumal das Landgericht Lübeck beide Polizisten im Mai 2007 wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen von jeweils neun Monaten verurteilt hatte, beide jedoch in Revision gingen. Die kündigte Verteidigerin Marberth-Kubicki heute erneut an.
Der Anwalt des Ehepaares Syrokowski, Johann Schwenn, zeigte sich jedoch optimistisch: Die Kammer habe ihr Urteil gut begründet. Es sei schwer, eine neue Revision durchzubringen. Er gehe davon aus, dass das Urteil rechtskräftig werde: "Dieses Urteil wird dafür sorgen, dass kein Polizist je wieder so handelt."
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