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Von Jürgen 25.03.2016 um 17:36 Uhr | melden
Die verlorene Zeit
Letzte Nacht erschien mir im Traum
ein Wesen, gar merkwürdig anzuschaun.
Es schaute mich an; direkt ins Gesicht
und sprach:
"Hör mir zu! Unterbrich mich nicht!“
Und als ich schon zweifelte an meinem Verstand,
da sah ich den Becher in seiner Hand.
Ich fragte: "Wer bist du? Was machst du da?
Es sprach, und es klang für mich sonderbar:
"Der Becher deines Lebens ist zur Hälfte schon leer.“
Da erschrak ich zutiefst und wunderte mich sehr.
Es packte mich die Angst und ich lief rasch von dannen,
zu suchen die Zeit, die zu rasch vergangen.
Und ich stieg auf die Berge in schwindelnde Höhn.
Und ich konnte ins Tal hinunter sehn.
Und es blies der Wind.
Und ich habe geflucht.
Denn meine Zeit hab ich dort vergeblich gesucht.
Und ich legte mich ins Gras unter einen Strauch.
Da krabbelte ein Käfer über meinen Bauch.
Und ich fragte das Tier, ob es meine Zeit gefunden.
Es verneinte und ich war entmutigt für Stunden.
Dann ging ich an den Strand und blickte aufs Meer.
War hier meine Zeit? Ich wünschte es mir so sehr.
Doch nur die Flut kam, trieb die Wellen ans Land.
Was ich fand, waren nur die Muscheln im Sand.
Und ich lief nach Hause und weinte so sehr.
Siehe da! Das Wesen, ich fand es nicht mehr.
Doch seine Botschaft verstand ich nun.
Und ich wußte, ich konnte noch sehr viel tun.
Zum Glück verblieb mir ein Rest noch an Zeit.
Zum Aufgeben war ich noch lang nicht bereit.
Nun wollte ich die Zeit sinnvoll verwenden.
Ich würde geben aus Herz und mit Händen.
Ich war wirklich nicht der Nabel der Welt.
Ich habe endlich begriffen, was wirklich zählt.
Ich wollte dem Wesen danken, in die Augen ihm schaun.
Da wurde ich wach – es war nur ein Traum.
Jutta Schulte
(*1961), deutsche Dichterin und Aphoristikerin