Andreas Müller

Andreas
Müller

07.02.1950
 
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13.12.2018
 

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ZurückEine brennende Kerze: Kerze rot lang
lucky

Von Helmut Schreier 07.03.2019 um 17:57 Uhr | melden

Andreas Müller war der Freund, mit dem ich ein bedingungsloses Grundeinverständnis teilte. Über ein Vierteljahrhundert waren wir uns über die Dinge so weit einig, dass ich mich an keine einzige Auseinandersetzung erinnere. Ich sah in ihm einen verwandten Geist, dem seine Unabhängigkeit über alles ging. Als ich mich in eine Lage manövriert hatte, in der sich die meisten von mir distanzierten, beglückwünschte mich Andreas zu meiner neuen schönen Wohnung. Vielleicht habe ich ihn auf ähnliche Weise ermutigen können, seinen eigenen Weg zu gehen.

Seine Tätigkeit als spiritus rector des Instituts Beatenberg, als Büchermacher und als extrem beliebter Vortragsredner und Geprächspartner für öffentliche Auftritte war vom Ethos der Selbstverantwortung geformt. Lernen bedeutete ihm einen lebenslang fortgeführten Prozess. Jeder sollte lernen, die Ziele des Weges eigenständig zu bestimmen und Schritt für Schritt zu verfolgen. Es war nur konsequent, dass er sich selbst dieser Leitvorstellung unterwarf. Seine Arbeitsdisziplin, das Frühaufstehen, die körperlichen Exerzitien, das Schmieden von detaillierten Planungen, die präzise ausgeführt wurden - alles hatte für Menschen in seinem Umfeld etwas Ansteckendes und verlieh ihm die Attraktivität des Authentischen. Was er sagte, war plausibel. Manchmal überraschend, aber stets plausibel.

Einmal, im Hamburger Körber-Zentrum an der Kehrwiederspitze, bei einer Veranstaltung mit Schulleitungspersonal, fragte ihn ein Schulleiter, wie Andreas denn an seiner Schule mit dem Problem der Eltern umgehe. Die Art und Weise, in der er die Frage vortrug, liess darauf schliessen, dass er Eltern als Belastung für den Schulbetrieb wahrnahm. Aus dem Publikum mit an die zweihundert Schulleitern war Gelächter zu hören. Man teilte die Einstellung und war auf die Antwort gespannt. Andreas erklärte, dass die Eltern die wichtigsten Partner der Schulleitung seien, über alle Vorgänge informiert, bei andauernder Gesprächsbereitschaft in sämtliche Entscheidungen eingebunden, so dass eine vollkommene Transparenz hergestellt sei.
Ich erinnere das betroffene Schweigen des Publikums, hätte den Vorfall aber wohl inzwischen vergessen, wäre mir nicht das eigenartige Gefühl von Stolz geblieben darauf, diesen Mann zum Freund zu haben.

Andreas hatte einen seltenen Blick für den pädagogischen Anspruch von Umweltarrangements. Als er mich nach meinem Umzug aufs Land besuchte, zeigte ich ihm die für das Wendland typischen Rundlingsdörfer. In der Mitte des Kreises von Giebel-Fassaden des Rundlings Schreyahn drehte er sich um die Achse und fragte: Was macht diese Welt mit einem Kind, das hier aufwächst?
Ein ähnliche Frage mag sich dem Besucher in Beatenberg aufdrängen angesichts der als Baustellen eingerichteten Arbeitsplätze. Und man wird wiederum ein Indiz finden für das Andreassche Motiv des Verfolgs von Eigenständigkeit.

Im November 2018, wenige Wochen vor seine Tod, wurde er im Gesprächskreis des hep-Verlages in Bern gefragt, mit welchem Thema er sich denn derzeit befasse. Seine Stimme klang unsicher und geschwächt, aber seine Aussage war deutlich: Die jungen Menschen, die im Leben keinen Sinn finden - was können wir tun, um ihnen zu helfen?

Andreas liebte die Menschen, und er liebte das Leben. Unter dieser Perspektive sah er die Welt der Schule. Er gab ein Beispiel und machte Vorschläge. Viele, die auf dem pädagogischen Feld arbeiten, hat er berührt, vielen hat er eine neue Perspektive gegeben, die ihnen den Weg zur Selbständigkeit erleichtert.
Ich weiss, dass ich Glück hatte, mit ihm befreundet zu sein.