Trauernde Kinder und Jugendliche
Für Kinder und Jugendliche ist es ein großer Schock, wenn ihnen das erste Mal der Tod ein geliebtes Familienmitglied entreißt. Das kann der Opa sein, ein Elternteil oder ein Geschwisterkind, aber selbst der Tod eines geliebten Haustieres hat auf Kinder und Jugendliche eine ganz andere Wirkung als auf einen Erwachsenen. Diese jungen Menschen erleben ihre Gefühle von Trauer, Angst, Wut oder Hilflosigkeit viel intensiver und unmittelbarer, da sie noch nicht die innere Selbstkontrolle gelernt haben, die sich Erwachsene zu Eigen gemacht haben.
Andere Vorstellungen vom Tod
Kleine Kinder, aber auch Jugendliche haben manchmal Schwierigkeiten, sich unter dem Begriff „tot sein“ etwas vorzustellen. In ihrer Erfahrungswelt ist dieses Ereignis bei einem Menschen womöglich noch nicht vorgekommen, und Beispiele aus einem Film sind für sie auch nicht sehr hilfreich – denn schließlich ist die Person, die im Film angeblich gestorben ist, in einem anderen Film wieder quicklebendig.
Viele Erwachsene versuchen dann, ihren Kindern den Tod anhand einer Metapher zu erklären. Sie sagen dann zum Beispiel, dass der Opa jetzt für immer ganz tief und fest schläft, oder die Mama sich auf eine ganz lange Reise begeben hat. Diese Metaphern werden von den Kindern jedoch meistens wörtlich genommen – und so beschließen sie, dass sie ganz viel Krach machen, damit der Opa wieder aufwacht, oder sie machen sich auf die Suche nach der verreisten Mama, die man doch irgendwo finden können muss.
Damit die Kinder den Verlust verarbeiten können und sich mit ihren Gefühlen auseinander setzen können, brauchen sie eine realistische Vorstellung davon, was „tot sein“ wirklich bedeutet. Deshalb ist es hilfreicher, wenn die Erwachsenen ihnen ganz konkrete Beispiele liefern. Fast jedes Kind hat schon einmal miterlebt, wie ein anderes Lebewesen gestorben ist – das Kaninchen des Nachbarn, der kleine Vogel, der aus dem Nest gefallen ist, der Goldfisch, der tot im Aquarium trieb. Vielleicht wurde dieses Lebewesen dann noch feierlich im Garten begraben.
Anhand so eines konkreten Beispiels können die Kinder eine genauere Vorstellung davon gewinnen, was der Tod ist und was er für sie bedeutet. Eine offene Aussprache darüber ist für sie das Beste; schonende Umschreibungen sind vielleicht gut gemeint, helfen den Kleinen aber leider nicht weiter.
Unterschiedliche Verhaltensweisen bei der Trauer
Für Erwachsene stellt sich die Trauer als kontinuierlicher Prozess dar, der mit einem dauerhaften Zustand des Verlustes und des Schmerzes beginnt. Am Anfang und auch noch etliche Monate später sind diese Gefühle immer präsent und bewusst, die trauernden Erwachsenen können sich kaum davon ablenken. Erst mit der Zeit treten die schmerzlichen Gefühle dann etwas in den Hintergrund und machen Platz für positivere Gefühle, so dass langsam die Lebensfreude zurück gewonnen werden kann.
Bei Kindern und Jugendlichen zeigt sich die Trauer ganz anders. Sie wird oft nur punktuell erlebt, dann aber umso intensiver. Die Kleinen weinen sich die Seele aus dem Leib, aber nach fünf Minuten können sie fröhlich hüpfend fragen, ob man nun nicht endlich zum Ballspielen gehen könnte. Das liegt daran, dass Kinder ihre Gefühle noch nicht so vermischen oder überlagern, wie das bei Erwachsenen der Fall ist, sondern sie switchen einfach schnell von einem Gefühl zum anderen.
Für die Kinder ist es wichtig, dass sie in den Momenten der Trauer diese Gefühle auch ausleben dürfen. Dieses tun sie nicht immer nur mit Worten und Tränen, sondern sie trauern auch durch Schreien und Wutausbrüche, oder durch kreative Beschäftigungen wie Malen oder Modellieren. Die Eltern sollten das akzeptieren und den Kindern den Raum geben, den diese für ihre ureigene Trauerbewältigung brauchen.
Ganz wichtig ist es für Kinder und Jugendliche auch, dass sie mit jemandem reden können, wenn sie das Bedürfnis danach haben oder eine Frage aufgetaucht ist. In manchen Familien vermeidet man ängstlich das Gespräch über die verstorbene Person, aber für die Kinder ist es wichtiger, darüber sprechen zu können. Sie verstehen es auch nicht, warum jetzt auf einmal keiner mehr über den Opa spricht, den doch alle so lieb gehabt haben.
Angst spielt eine große Rolle
Sobald die Jugendlichen und Kinder verstanden haben, was der Tod bedeutet, löst das bei ihnen nicht nur Gefühle der Trauer und des Verlustes aus, sondern oft auch große Ängste. Müssen sie jetzt ins Heim, weil die Mama tot ist? Bekommen sie eine neue Mama, die sie eigentlich gar nicht wollen? Für sie ist durch den Tod eines engen Familienmitglieds ihre bisherige Welt zerbrochen, und sie haben keinerlei Vorstellungen davon, wie diese neue Welt jetzt aussehen wird.
Überlässt man sie ihren Ängsten, so kann es passieren, dass sie sich mit blühender Fantasie schreckliche Szenarien ausmalen. Daher ist es sinnvoll, gleich ganz zu Beginn nach dem Todesfall mit ihnen zu besprechen, wie das Leben neu geordnet werden soll. Denn Klarheit und Stabilität wirken diesen Zukunftsängsten entgegen und helfen ihnen, sich in der neuen Welt zurecht zu finden.
Echte Trauer hinter der coolen Fassade
Sind die Jugendlichen schon in das pubertäre Stadium eingetreten, kann es passieren, dass sie gar nicht wissen, wie sie mit ihrer Trauer umgehen sollen. Sie möchten ja cool und erwachsen erscheinen und nicht als Heulsuse wahr genommen werden, deshalb versuchen sie oft, sich nach außen hin lässig und abgebrüht zu geben.
Das wirkt auf Erwachsene unter Umständen etwas gefühllos und so, als würden die Jugendlichen gar nicht um die verstorbene Person trauern. Das tun sie natürlich doch, aber eben auf ihre Weise. Und auch sie lassen manchmal die Fassade fallen und brauchen dann jemanden, der sie trösten kann und mit dem sie reden können, um ihr Gefühlschaos zu entwirren. Manchmal fällt ihnen das mit Gleichaltrigen leichter, so dass es sinnvoll sein kann, eine entsprechende Trauergruppe zu suchen.
Auch Wut ist mit im Spiel
Viele Kinder und Jugendliche empfinden neben der Trauer auch große Wut auf das verstorbene Familienmitglied. Wie konnte die Mama sie nur alle alleine lassen? Warum wollte der Opa nicht mehr bei seinen Enkelkindern sein? Sie nehmen den Tod sehr persönlich und sehen ihn als einen willentlich gegen sie gerichteten Akt.
Auch hier ist es sicher hilfreich, den Kindern und Jugendlichen genau zu erklären, dass die Mama und der Opa sicher gerne noch bei ihnen geblieben wären, aber dass das Schicksal nun einmal anders entschieden hat. Selbst wenn das Familienmitglied durch Suizid gestorben ist, kann man den Kindern immer noch klar machen, dass dies ein Akt der Verzweiflung war und kein Zeichen von mangelnder Liebe. Die verstorbene Person suchte einen Ausweg aus ihrem persönlichen Elend, aber sie wollte nicht absichtlich die Kinder verletzen.
Irene Becker studierte Romanistik (Französisch, Spanisch) und Wirtschaftwissenschaften an der WWU in Münster, machte eine mehrjährige psychologische Ausbildung in Deutschland, der Schweiz, England und den USA, schreibt Bücher und ist seit 1994 selbstständig im Bereich Beratung, Personalentwicklung, Training und Coaching.
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