Suizid in Weltanschauungen
Die Selbsttötung, auch Freitod, Suizid oder Selbstmord genannt, gibt es seit Anbeginn der Menschheit. Und genau so lange wird dieser Schritt, sein Leben freiwillig zu beenden, sehr kontrovers diskutiert; und diese Diskussion hält bis heute an. Dabei vertreten die verschiedenen Religionen und Weltanschauungen sehr unterschiedliche Sichtweisen darüber, wie ein Suizid zu beurteilen ist.
Es gibt zwei grundsätzliche Motivationen für einen Suizid: Zum einen gibt es den Selbstmord aus persönlichen Erwägungen. Den Menschen erscheint ihr Leben aus den unterschiedlichsten Gründen so unerträglich, dass sie keinen anderen Weg mehr sehen, als sich das Leben zu nehmen. Dabei stehen die Erwägungen bezüglich der eigenen Person im Vordergrund; Überlegungen, wie dieser Schritt andere Menschen betreffen wird, sind zwar vorhanden, aber zweitrangig.
Die andere Motivation zum Selbstmord resultiert daraus, dass man um einer größeren Sache willen sein eigenes Leben opfert. Das kann eine Mutter sein, die sich selbst tötet, um ihr Kind zu retten, das kann ein Selbstmordattentäter sein, der um der Sache Gottes willen in den Tod geht, oder ein Partisane, der zur Rettung anderer freiwillig ein Selbstmordkommando auf sich nimmt.
Hier kann man generell sagen, dass die verschiedenen Weltanschauungen und Religionen einen Selbstmord mit der Motivation, sein eigenes Leben für etwas Größeres zu opfern, überwiegend sanktionieren und positiv betrachten, selbst wenn sie die Selbsttötung aus persönlichen Gründen ablehnen.
Manche Strömungen wie zum Beispiel extreme Sekten aus dem Islam befürworten diese Art des Selbstmordes sogar ausdrücklich und ermuntern ihre Anhänger dazu. Sie versprechen dabei, dass zum einen die Familien des Selbstmörders gut versorgt werden und ein hohes Ansehen genießen, und zum anderen sei dem Selbstmordattentäter das Paradies sicher, da er sich für die Sache Gottes geopfert hat.
Beurteilung des Selbstmordes aus humanistischer und liberaler Sicht
Die meisten modernen philosophischen Strömungen aus dem Humanismus und dem Liberalismus sehen Selbstmord als ein unantastbares Recht des Menschen an, das ihm nicht genommen werden darf. Genau so wie der Mensch im Leben ein Recht auf Würde und Selbstbestimmung hat, genau so müsse ihm dieses Recht auch bezüglich seines Todes gewährt werden. Daher gehören der straflose Freitod und das Recht auf Sterbehilfe in den Augen dieser Weltanschauungen zu den Grundrechten des Menschen. Sie fordern deshalb auch, dass man selbstmordgefährdete Menschen nicht zwangseinweisen sollte, da man sie dann ihres freien Willens und ihres Rechtes auf selbstbestimmtes Sterben beraubt.
Allerdings fordern die Humanisten auch, dass der Freitod, der gewählt wird, nicht direkt und unmittelbar andere Menschen schädigen darf. So scheidet ein bewusster Autounfall auf jeden Fall aus, da dieser andere Menschen zu sehr in Gefahr bringen könnte. Auch ein Selbstmordattentat kann aus humanistischer Sicht keinesfalls gut geheißen werden, da es nur erfolgt, um andere Menschen zu töten.
Auch sollte der Entschluss zum Selbstmord reiflich und gründlich überlegt werden und nicht aus der Laune eines Augenblicks (zum Beispiel unter Drogeneinfluss) gefasst werden. Denn auch die liberalen Humanisten sehen den Selbstmord als zwar legitime Wahl des Menschen an, aber durchaus als die letzte Möglichkeit, die in Erwägung gezogen werden sollte.
Standpunkt der modernen Medizin und Psychologie
Der Mediziner verpflichtet sich schon seit Jahrhunderten durch seinen Eid dazu, das Leben von Menschen zu retten und nicht zu vernichten. Daher ist ein großer Teil der Mediziner einhellig der Meinung, dass Selbstmord abzulehnen sei und der Patient unter Umständen sogar mit Gewalt daran gehindert werden müsse, ihn zu begehen. Auch die aktive Sterbehilfe lehnen die meisten Mediziner ab, da sie in ihren Augen eigentlich Mord ist.
Medizin und Psychologie begründen ihre Ablehnung des Selbstmordes damit, dass ein Mensch mit einem Todeswunsch körperlich oder physisch krank sei. Deshalb sei er nicht wirklich im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und könne so eine Entscheidung gar nicht vollverantwortlich treffen. Sie schlagen daher vor, dass Menschen mit einem Todeswunsch in medizinische oder psychologische Behandlung gegeben werden sollten, auch gegen ihren Willen.
Viele Befürworter des Selbstmordes und der Sterbehilfe halten dagegen, dass ein Mensch, der an unheilbarem Krebs leide und nur noch Monate des schmerzlichen Dahinsiechens ohne Lebensqualität vor sich habe, durchaus geistig bei voller Gesundheit sei und daher das Recht haben sollte, diese Entscheidung über den Zeitpunkt seines Lebensendes selbst zu treffen.
Standpunkt des Christentums
Seit Beginn ihres Entstehens sprechen die christlichen Kirchen dem Individuum das Recht ab, selbst über seinen Tod zu bestimmen; der Freitod wird sogar als eine der größten Sünden angesehen, die der Mensch begehen kann. Die Argumentation sagt dabei häufig, dass der Mensch seinen Körper von Gott bekommen habe und daher auch nur Gott das Recht habe, ihn wieder zu nehmen – dieses Recht dürfe sich der Mensch nicht anmaßen. Diese Haltung wird nach wie vor offiziell vertreten.
Mit dieser Argumentation ist die christliche Kirche allerdings immer wieder von ihren Gläubigen und Kritikern in Frage gestellt worden. Wenn der Mensch nicht das Recht habe, einem anderen das Leben zu nehmen, so müssten dann auch die Todesstrafe sowie kriegerische Handlungen kategorisch abgelehnt werden, was aber von Seiten der Kirche nie der Fall war. Im Gegenteil: In manchen Jahrhunderten hat sie selbst zum Beispiel im Rahmen der Inquisition oder der Kreuzzüge zum aktiven Töten anderer Menschen aufgerufen und es explizit befürwortet.
Des Weiteren bemängeln die Kritiker der christlichen Haltung, dass diese auch auf Selbstmord nicht konsequent angewandt würde. Etliche Personen, die sich freiwillig umgebracht haben, werden von der Kirche als Märtyrer verehrt. Auch Jesus sei, so die Kritiker, ein Selbstmörder gewesen und freiwillig in den Tod gegangen, immerhin hatte er bis zum Schluss die Wahl, zu sterben oder zu leben. Er hat sich dann bewusst für das Opfer des eigenen Todes entschieden, also im klassischen Sinn Selbstmord begangen. Somit sei klar, dass die christliche Kirche nur den Selbstmord aus persönlichen Gründen ablehnt, aber nicht den Selbstmord um einer höheren Sache willen.
Standpunkt des Judentums
Im Grunde genommen ist der Standpunkt des Judentums mit dem der christlichen Kirchen identisch. Auch hier wird der Suizid aus rein persönlichen Gründen vehement abgelehnt, da für die Juden das Leben das höchste Gut ist, das es mit allen Mitteln zu schützen gilt. Deshalb wurden zumindest früher auch im Judentum Selbstmörder an ganz bestimmten Plätzen auf dem Friedhof oder sogar außerhalb dessen begraben, um diese Todsünde dauerhaft zu demonstrieren.
Und auch das Judentum kennt die Ausnahmen, wenn der Selbstmord zum Schutz des Glaubens begangen wurde. So hat es in der Geschichte des Judentums mehrere Massenselbstmorde gegeben, bei denen sich die Gläubigen lieber das Leben genommen haben, als von ihren Verfolgern zwangsbekehrt zu werden. Von offizieller Seite aus wurden und werden diese Selbstmörder überwiegend als Märtyrer verehrt.
Standpunkt des Islams
Grundsätzlich ist im Islam der Suizid streng verboten und hat nach der Auffassung vieler religiöser Führer zur Folge, dass der Selbstmörder keine Aufnahme im Paradies finden wird. Ein Selbstmord aus rein persönlichen Gründen wird also in keinem Fall gutgeheißen.
Jedoch gibt es im Islam auch die Pflicht, seinen Glauben an Allah aktiv zu bezeugen, unter Umständen auch dadurch, dass man sein eigenes Leben aufs Spiel setzt. Das ist die Begründung, die von verschiedenen islamischen Strömungen für die Erlaubnis eines Selbstmordattentates gegeben wird. Es handle sich dabei um eine Glaubenszeugnis und die aktive Verteidigung des Glaubens, daher sei der Suizid in diesem Rahmen erlaubt. Allerdings muss sich der Freitodwillige vorher sein Vorhaben von einer religiösen Instanz genehmigen lassen, wenn er nicht doch nur als einfacher Selbstmörder gelten will und damit seine Chancen auf den Einzug ins Paradies verwirkt hat.
Standpunkt im Buddhismus, Konfuzianismus und Hinduismus
Diese Religionen haben prinzipiell einen ähnlichen Standpunkt, wie die humanistische Weltanschauung ihn befürwortet. Grundsätzlich wird dem Menschen das Recht zugestanden, seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen, so lange er dabei keinem anderen Lebewesen schadet. In den verschiedenen Strömungen werden unterschiedliche Situationen und Bedingungen genannt, wann ein Selbstmord als ehrenvoll oder als schändlich anzusehen ist, er ist aber generell eine Option, die jeder Mensch wahrnehmen kann.
In anderen regional begrenzten Religionen und Weltanschauungen kann der Selbstmord als letzte Maßnahme zur Rettung der Ehre anerkannt und geschätzt werden; so ist in Japan nach wie vor der sogenannte Seppuku eine ehrenhafte Tat, wenn der Mensch anderen geschadet hat und einzig durch den Freitod diesen Schaden sühnen und seine sowie die Ehre seiner Familie wieder herstellen kann.
Mehr zum Thema im Netz:
Suizid aus religiösen und weltanschaulichen Gründen (PDF)
Suizid in Weltanschauungen (de.wikipedia.org)
Irene Becker studierte Romanistik (Französisch, Spanisch) und Wirtschaftwissenschaften an der WWU in Münster, machte eine mehrjährige psychologische Ausbildung in Deutschland, der Schweiz, England und den USA, schreibt Bücher und ist seit 1994 selbstständig im Bereich Beratung, Personalentwicklung, Training und Coaching.
Finden Sie diese Seite hilfreich? Geben auch Sie mit einem Klick auf die Sterne Ihre Bewertung ab. (1 Stern: Wenig hilfreich, 5 Sterne: Sehr hilfreich)