Suizid – die letzte Entscheidung
Jedes Jahr nehmen sich bundesweit ungefähr 10.000 Menschen das Leben. Laut Statistischem Bundesamt waren es 2009 7.228 Männer und 2.388 Frauen. Hinter diesen Zahlen stecken Schmerz und Leid, Menschen, die sich selbst getötet haben, weil es für sie der einzige Ausweg aus einer hoffnungslosen Lage war; weil sie das Leben nicht mehr aushalten konnten. Und Menschen, die mit dem selbst gewählten Tod des geliebten Menschen weiterleben müssen.
Ein Suizid überrollt das Leben von Angehörigen und Freunden, ohne dass sie sich darauf vorbereiten konnten. Taucht bei fast allen Angehörigen nach einem Todesfall in der Familie die Frage auf, wie das Leben für sie weitergehen soll, kommen bei den Hinterbliebenen einer Selbsttötung noch weitere Fragen hinzu: ‚Was habe ich in der Vergangenheit nicht wahrgenommen? Habe ich einen Anteil an der Entscheidung zur Selbsttötung? Warum konnte ich den Suizid nicht verhindern?’ Eine Selbsttötung ist eine radikale Absage an die Hinterbliebenen. Alle Fragen nach dem Warum, die über sie hereinstürzen, können nicht mehr – nie mehr – geklärt werden.
Im Chaos der Fragen
Die Selbsttötung ist ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Sie stellt alles Vorstellbare auf den Kopf: Ein junger Mensch stirbt durch einen Unfall, ein alter Mensch an Altersschwäche oder Krankheit. Das kann unser Verstand nachvollziehen - unser Bedürfnis, Erklärungen zu finden, wird befriedigt. Das ist tröstend trotz Trauer und Schock. Doch selbst wenn beim Suizid ein Abschiedsbrief hinterlassen wird, werden die Motive oft nicht klarer, erfolgt keine Entlastung für den Angehörigen. Die Hinterbliebenen tragen die Folgen der letzten Entscheidung des ihnen nahe stehenden Menschen, müssen mit dessen Tod leben.
Intensiver als bei anderen Todesarten bleibt für die Angehörigen die Frage der Mitschuld. Jeder Konflikt, jedes Problem, das zu Lebzeiten bestanden hat, erhält im Nachhinein eine bedrückende Bedeutung. Ein vorangegangener Konflikt mag der Auslöser zur Selbsttötung sein, nicht jedoch die Ursache. Das Gefühl, man hätte den Suizid eines vertrauten Menschen verhindern können, kommt einer Allmachtsfantasie nahe.
Freitod oder Krankheit
Psychisch Kranke sind besonders suizidgefährdet, aber nicht nur sie töten sich selbst. Vielmehr können Risikofaktoren wie berufliche Krisen oder Umbruchsituationen wie Scheidung oder Pensionierung auch bei Menschen ohne psychische Erkrankung zum Suizid führen. Denn die Möglichkeit, sich selbst zu töten, gehört zum Menschsein dazu. Damit bleibt der Suizid einerseits die letzte Freiheit des Menschen – und kann andererseits Ausdruck einer schweren psychischen Krankheit sein. Wichtig für alle, die mit dem Suizid eines anderen Menschen leben müssen, bleibt jedoch, ihn zu enttabuisieren und nicht zu diskriminieren. Damit wir wirklich verstehen, was die Trauernden fühlen.
Artikel geschrieben von Eva-Maria Glagau
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