Heul nicht, du hast sie doch gar nicht gekannt – Trauer um Prominente
Im Internet werden immer wieder Schlachten ausgetragen, die sich am Tod einer prominenten Person entzünden. Da gibt es die Heerscharen von Fans oder Betroffenen, die öffentlich ihre unendliche Trauer beim Tod eines bekannten Menschen bekunden, Blumensträuße und Kuscheltiere ablegen oder eine Gedenkseite einrichten.
Und da gibt es die Gegenpartei, die verächtlich von Heuchelei spricht und den Fans nicht abnimmt, dass sie wirklich echte Trauer empfinden – schließlich haben sie ihr Idol, um das sie weinen, ja gar nicht persönlich gekannt. Aber muss man jemanden persönlich gekannt haben, um um ihn oder sie trauern zu können?
Worum trauern Menschen?
Viele Menschen sind der Meinung, dass Trauer im Grunde genommen ein eher egoistisches Gefühl ist. Man trauert nicht um den verstorbenen Menschen, sondern um den eigenen Verlust, den man selbst durch seinen Tod erlitten hat. Ihn oder sie nie wieder sehen, nie wieder berühren, nie wieder mit ihm sprechen, lachen oder weinen – um dieses „nie wieder“ trauern wir.
Denn der Verstorbene ist tot, ihn berührt nichts mehr, so die generelle Überzeugung in den meisten Kulturen. Er hat mit dem Leben abgeschlossen, die irdischen Leiden gehen ihn nichts mehr an. Kein Bedauern, kein Verlustgefühl auf seiner Seite.
Und insofern ist diese Einschätzung, dass wir um unseren eigenen Verlust trauern, wahrscheinlich gar nicht so falsch. Vielleicht mischt sich auch noch etwas Bedauern für den verstorbenen Menschen mit hinein – man hätte ihm dies oder jenes noch gegönnt, wie schade, dass er das und das nicht mehr erleben konnte. Aber wie erwähnt – er selber spürt diesen Verlust wahrscheinlich nicht.
Wir trauern also um unseren eigenen Verlust – und der kann vielfältig sein. Wenn man einen Menschen persönlich gekannt hat, so betrauern wir wahrscheinlich andere Verluste, als wenn ein uns unbekannter Mensch stirbt. Aber auch dieser kann uns viel bedeutet haben und eine Lücke in unserem Leben hinterlassen.
Er hat uns als Künstler vielleicht unendlich viele Stunden der Freude geschenkt, was er nun nie wieder tun wird. Vielleicht hat er uns auch als Mentor durch seine Bücher auf unserem Weg begleitet, und seine Inspirationen werden uns fehlen. Vielleicht hat er sich für die Gesellschaft sehr verdient gemacht, die nun auf seine Leistungen verzichten muss – man denke an Martin Luther King oder Mahatma Gandhi.
Über den Tod eines solchen Menschen und die Verluste, die mit ihm einher gehen, kann man daher sicher auch echte Trauer empfinden, selbst wenn einem dieser Mensch persönlich nicht begegnet ist. Er hat uns auf andere Weise berührt, wir hatte einen andere, aber womöglich auch sehr tiefe Beziehung zu ihm.
Aber was ist mit der Trauer, die angeblich so viele Menschen weltweit empfinden, wenn es zum spektakulären Tod eines bis dahin völlig unbekannten Menschen kommt? Worum trauern zum Beispiel die Menschen beim Tod der jungen Amanda Todd, die sich nach jahrelangem Mobbing das Leben genommen hat?
Auch hier kann echte Trauer durchaus statt finden. Wir trauern vielleicht um den Verlust an Menschlichkeit, der sich in diesem Tod zeigt, um eine verlorene Unschuld im Zusammensein der Menschen; uns macht die bedenkenlose Grausamkeit betrübt, die sich in der Leidensgeschichte des jungen Mädchens manifestiert.
Auch die Trauer um die Opfer des Nationalsozialismus oder anderer Bestialitäten kann echt und tief empfunden sein; wir trauern darum, dass der Mensch in seiner Jahrtausende alten Geschichte immer noch nichts gelernt hat und unbekümmert sinnlos und grausam Leben verschwendet. Die Menschen können nämlich auch um verloren gegangene abstraktere Dinge trauern – die wehmütige Nostalgie ist eine mildere Form einer solchen Trauer.
Also keine Heuchelei?
Hier kommt die Kehrseite der Medaille – natürlich haben die Kritiker der öffentlichen Prominententrauer auch Recht, wenn sie vielen Menschen schlichte Heuchelei unterstellen. Manche Menschen täuschen Trauer vor, weil eben alle trauern und sie dem Trend folgen möchten, manche Menschen trauern sogar öffentlich und dramatisch, damit sich ihre sozialen Profile im Internet verbessern und sie im Ranking aufsteigen.
Und manche Menschen heucheln Trauer, um ihre Ziele zu erreichen und andere zu manipulieren. Wieder das Beispiel Amanda Todd: viele Menschen, die ihr Mobbing lautstark verurteilt haben, haben das gleiche mit dem wohl zu Unrecht beschuldigten Mann gemacht, der angeblich der Auslöser gewesen war. Die eine Hetzkampagne scheinheilig zu verurteilen, nur um als angeblicher Held eine neue ins Leben zu rufen, das verdient wohl den Namen der Heuchelei.
Wie man mit einem „öffentlichen“ Tod umgeht, muss man selber wissen. Manche Menschen möchten ihre durchaus echte Trauer öffentlich zeigen, manche legen vielleicht ihre Lieblings-CD des verstorbenen Künstlers auf und vergießen zu Hause ihre Tränen. Ob die Trauer echt ist, kann man von außen nicht immer beurteilen – und deshalb sollte man sich im Zweifelsfall sicher mit vorschnellen und selbstgerechten Anklagen zurück halten.
Gedenkseiten für Prominente:
- Gedenkseite für Dirk Bach
- Gedenkseite für Michael Clarke Duncan
- Gedenkseite für Whitney Houston
- Gedenkseite für Silvia Seidel
- Gedenkseite für Lucius Reichling
Weitere Informationen im Netz:
- Trauern im Internet – geht das? - Pro & Contra (www.tag-des-herrn.de)
- Öffentliche Trauer - Der Schmerz der anderen (www.sueddeutsche.de)
- Die öffentliche, nicht ganz so stille Trauer (www.tagesspiegel.de)
- Der Tod und die öffentliche Trauer (Dr. Werner Kleine)
Oliver Schmid ist Gründer von Gedenkseiten.de, seit 2009 Internet-Unternehmer und Experte für Inbound Marketing mit Hauptsitz in Friedrichshafen.
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