Friedhöfe im Internet - virtuelle Gedenkstätten
Wenn der Tod einem einen Menschen entreißt, den man geliebt hat, so ist der Abschied nicht leicht. Zudem möchte man natürlich, dass dieser Mensch unvergessen bleibt und man sich lange an ihn erinnert. Das ist ein Zweck eines Grabes mit einem Grabstein – auch nach langer Zeit kann man hier zumindest in Kurzform nachlesen, wer hier ruht. Und zum anderen ist eine solche Grabstätte auch ein Ort, an dem man auf seine ganz persönliche Art und Weise immer wieder ein Zwiegespräch mit dem verstorbenen Menschen abhalten kann.
Mobile Zeiten erfordern neue Möglichkeiten
Die globale Arbeitswelt hat es mit sich gebracht, dass die Menschen immer mobiler werden und sehr oft Familien nicht mehr komplett im selben Heimatort wohnen. Nach einem Todesfall kann das zu einem besonderen Problem werden. Schaffen es die Angehörigen vielleicht, auf jeden Fall zur Beerdigung anzureisen, so fehlt ihnen jedoch oft die Gelegenheit, die Grabstätte regelmäßig zu besuchen; sie müssen auf diesen Trost verzichten.
Deshalb ist schon vor einigen Jahren die Idee aufgekommen, im Internet auch ein virtuelles Grab zu schaffen, das von jedem Ort dieser Welt aus besucht werden kann. Das gibt selbst sehr entfernt lebenden Angehörigen die Möglichkeit, den virtuellen Friedhof regelmäßig zu besuchen, dort eine Kerze anzuzünden oder einen virtuellen Blumenstrauß zu hinterlegen oder auch einige Worte zu hinterlassen.
Funktionsweise virtueller Gedenkstätten
Es gibt etliche Portale, die ihren Nutzern die Möglichkeit geben, meist kostenlos eine Gedenkseite für ihr verstorbenes Familienmitglied anzulegen. Dort können die Angehörigen Fotos aufladen, einen Lebenslauf einstellen, sogar Musikstücke hochladen, die der verstorbene Mensch besonders gerne gehört hat. Es lässt sich ebenfalls eine Kondolenzliste oder ein Kondolenzbuch anlegen, in dem Besucher einen Kommentar hinterlegen können und so ihrem Beileid Ausdruck geben können.
Die Seiten sind potenziell genau so lange existent, wie es das Internet gibt – also auch eine Form der sozusagen ewigen Gedenkstätte, wie es viele Gräber mit ihren begrenzten Liegezeiten nicht mehr sind.
Vorteile von Gedenkseiten
Eine Gedenkseite erlaubt es vielen Personen – egal wo sie sind – am Tod eines Menschen Anteil zu nehmen und dieses Mitempfinden auch auszudrücken. Sie haben so eine dauerhafte Anlaufstelle, die sie nutzen können, um ihre Erinnerungen an den verstorbenen Menschen regelmäßig aufzufrischen und ihn in ihrem Herzen lebendig zu halten.
Auch der Informationsaspekt einer Gedenkseite ist sicher ein Vorteil. Eine Sterbeanzeige in der Zeitung erscheint ein Mal, und man weiß nicht, ob sie auch von allen Betroffenen gelesen wurde. Die virtuelle Gedenkstätte gibt diese Information dauerhaft an alle Besucher weiter. Zudem können nun auch Menschen, die die verstorbene Person vielleicht gar nicht persönlich gekannt haben, ihre Anteilnahme zeigen.
Das Bedürfnis danach ist bei vielen Menschen vorhanden Das beweisen die vielen Besucher auf den Gedenkseiten für die Opfer von Katastrophen, Unglücken oder kriminellen Vorfällen wie die Opfer der amerikanischen Amokläufe. Aber auch im Bereich der Stars und Sternchen erfreuen sich die entsprechenden virtuellen Gedenkstätten großer Beliebtheit – so kann der Fan seinem Idol noch einmal seine Reverenz erweisen, was für viele ein großer Trost ist.
Als hilfreich wird es von vielen trauernden Menschen auch empfunden, dass die Gedenkseiten den Besuchern durch die Kondolenzliste oder das Kondolenzbuch einen gewissen Austausch ermöglichen. Man lernt die Gedanken und Gefühle anderer Trauernder kennen und kann daraus Trost schöpfen und Anregungen zur eigenen Trauerbewältigung bekommen.
Potenzielle Risiken virtueller Gedenkstätten
Leider ist das Internet nicht der harmlose und freundliche Ort, den man sich wünschen würde. Und so kommt es immer wieder vor, dass Menschen die Anonymität des Internets nutzen, um verletzende und böse Kommentare auf den Gedenkseiten zu hinterlassen. Da wird der verstorbene Mensch geschmäht und verunglimpft, oder aber die Angehörigen werden beschimpft, weil sie in den Augen des Kommentators dem Verstorbenen in irgendeiner Weise Unrecht angetan haben sollen.
Diese Kommentare sind nicht nur grundsätzlich verabscheuenswert, sondern sie können zusätzlich den trauernden Angehörigen weiteren Schmerz bereiten. Selbst wenn manche der erwähnten Dinge einen wahren Kern haben sollten, so ist doch ein öffentlicher Ort wie das Internet bestimmt nicht der richtige Platz, um solche Konflikte zu thematisieren.
Ein weiteres Risiko dieser virtuellen Gedenkstätten ist es, dass die Angehörigen in ihrer Trauer und ihrem Bemühen, eine echte Erinnerungsstätte zu schaffen, eventuell zu viel über das verstorbene Familienmitglied preis geben – viel mehr, als dieses zu Lebzeiten gewünscht hätte. Da finden sich dann Auszüge aus Tagebüchern oder intime Bekenntnisse, die im Zwiegespräch gemacht wurden und jetzt für alle öffentlich zugänglich sind. Der Wunsch, den verstorbenen Menschen anderen näher zu bringen, ist sehr verständlich, aber manche Dinge sollten besser doch im vertrauten Familienkreis bleiben.
Wirkung von virtuellen Friedhöfen
Wer jemals eine solche Seite besucht hat, wird sie bestimmt nicht unberührt verlassen. Das Internet erlaubt es durch seine Distanz, die es zwischen den Menschen schafft, dass viele ihre Gefühle viel offener und ehrlicher ausdrücken, als sie es von Angesicht zu Angesicht jemals tun würden. So kann man dann sehr berührende Aussagen lesen, die echte Gefühle und tiefen Schmerz offenbaren und wirklich anrühren.
Diese virtuellen Gedenkstätten bieten jedem Besucher damit eine gute Möglichkeit, sich mit dem Thema Tod auseinander zu setzen – einem Thema, welches derzeit eher verdrängt denn aktiv bearbeitet wird. Die Vorbereitung auf den Tod, sei es den eigenen oder den eines nahen Familienangehörigen, gehört aber zu einem bewussten Leben dazu, in welchem unausweichliche Tatsachen nicht verdrängt, sondern akzeptiert werden.
Diese öffentlichen Beispiele der Trauer können daher dem Besucher wertvolle Anregungen zum eigenen Umgang mit dem Tod geben. Aber auch Trost, Mut und Anlass zur Bewunderung kann man dort finden, wenn man etwa die Gedenkseite eines Kindes besucht, welches an einer tödlichen Krankheit gestorben ist. Die Schilderungen der Angehörigen, wie mutig dieser junge Mensch seinem Schicksal ins Auge geblickt und es akzeptiert hat, können wirklich sehr berührend und inspirierend sein.
Die Entscheidung für eine virtuelle Gedenkstätte
Sicher spricht etliches mehr für als gegen die Einrichtung einer Gedenkseite, denn mit anderen entfernten Menschen die Möglichkeit zur gemeinsamen Trauer und Erinnerung teilen zu können, ist wahrlich ein großes Geschenk. Man sollte jedoch darauf achten, dass die Kommentare in den Kondolenzlisten und Kondolenzbüchern regelmäßig überprüft werden, damit unerwünschte und aggressive Anmerkungen sofort entfernt werden können.
Auch sollten sich die Angehörigen vor dem Anlegen der Seite fragen, welche Informationen der verstorbene Mensch selbst zur Veröffentlichung frei gegeben hätte. Und nur diese sollten dann auch den Weg auf die Seite finden. So kann man verhindern, dass man – ungewollt – dem Verstorbenen nicht den angemessenen Respekt zollt und wider seine Wünsche handelt. Denn das ist sicher das, Letzte, was die Angehörigen mit der virtuellen Gedenkstätte bewirken wollen. Sie soll das Gegenteil sein – ein ehrliches Zeichen des Respektes, der aufrichtigen Trauer und der Bemühung, die Erinnerung an einen wunderbaren Menschen nicht erlöschen zu lassen.
Irene Becker studierte Romanistik (Französisch, Spanisch) und Wirtschaftwissenschaften an der WWU in Münster, machte eine mehrjährige psychologische Ausbildung in Deutschland, der Schweiz, England und den USA, schreibt Bücher und ist seit 1994 selbstständig im Bereich Beratung, Personalentwicklung, Training und Coaching.
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