Erscheinungsformen von Suizid
Ein Suizid ist der Weg für einen Menschen, der aus seinem Leiden heraus keinen anderen Ausweg mehr sieht. Das Leiden kann dabei körperlicher Natur sein wie bei einer schweren und schmerzhaften Erkrankung, oder es ist psychologischer oder emotionaler Natur – der geliebte Partner hat einen verlassen, wegen Arbeitslosigkeit droht der Ruin. Diese extremen Situationen können dann im Einzelfall dazu führen, dass sich ein Mensch das Leben nimmt.
Jährlich sterben etwa eine Million Menschen durch Selbstmord, wobei die Dunkelziffer der nicht erkannten oder nicht gemeldeten Selbstmorde noch erheblich höher sein dürfte. Dabei kann man grundsätzlich von drei verschiedenen Arten von Selbstmord ausgehen:
- Der krankheitsbedingte Selbstmord: Mediziner und Psychologen gehen davon aus, dass es bestimmte Krankheiten gibt, bei denen die Patienten eine Selbstmordneigung entwickeln. Dazu gehören die bipolare Störung, Formen der Schizophrenie, Depressionen und bestimmte Psychosen. Auch der Suizid am Ende einer Drogenkarriere gehört zu den durch eine Krankheit verursachten Suizidarten.
- Der sogenannte Bilanzselbstmord: Darunter versteht man einen Suizid, der mit klarem Kopf beschlossen wurde und sorgfältig vorbereitet und ausgeführt wurde. Der Mensch hat durch die Aufstellung seiner Lebensbilanz den Eindruck gewonnen, dass für ihn das Leben unter dem Strich nicht mehr lebenswert ist. Hier kann man zum Beispiel den Beschluss einordnen, aufgrund einer Krankheit das Leben zu beenden. Auch der sogenannte Alterssuizid gehört in diese Kategorie – der betagte Mensch hat beschlossen, dass sein Leben erfüllt ist und verweigert die Aufnahme von Nahrung oder Flüssigkeit.
- Der spontane Suizid: Bei dieser Art des Suizides beschließt der Selbstmörder aus einer momentanen, emotional sehr intensiven Situation heraus, sich das Leben zu nehmen. Überlegungen erfolgen kaum, es handelt sich um eine irrationale und spontane Kurzschlusshandlung. Dies geschieht zum Beispiel des Öfteren, wenn ein Mensch vom Verlust eines geliebten Partners hört oder situativ bedingt aus anderen Gründen von absoluter Verzweiflung übermannt wird und dann versucht, sich das Leben zu nehmen.
Erscheinungsformen des Suizids
Man kann die Suizide unabhängig von ihrer Art und ihrer Methode in verschiedene Erscheinungsformen einteilen. Das Kriterium hierbei ist einerseits die Frage, ob der Suizid ohne oder mit fremder Hilfe begangen wurde und andererseits, ob etwas Bestimmtes damit erreicht werden sollte. Diese Frage ist auch rechtlich gesehen sehr bedeutsam, gibt es doch neben den klaren Regelungen auch einige Grauzonen, in denen die Rechtslage nicht eindeutig ist.
- Die völlig eigenständige Tötung ist wohl die reinste Erscheinungsform des Suizids. Der Mensch hat den Entschluss selbst gefasst und führt ihn ohne fremde Hilfe und meistens ohne die Anwesenheit Dritter erfolgreich durch. Es gibt einige Methoden, bei denen andere Personen in gewisser Weise als Helfer einbezogen werden, aber selbst keine Möglichkeit der aktiven Entscheidung hatten – insofern ist auch ein Selbstmord, bei dem man sich vor einen Zug wirft, eine eigenständige Tötung, weil der Zugführer zwar die Tat ausgeführt hat, er aber keine andere Möglichkeit hatte und den Tod nicht verhindern konnte.
- Bei der Selbsttötung mit der Mitwirkung eines Helfers, die als Beihilfe zum Selbstmord eingeschätzt wird, liegt die letzte Entscheidungsgewalt noch beim Selbstmörder, er bekommt nur Unterstützung zur Tat durch einen Dritten. Beispielsweise kann sich ein Mensch, der den Freitod wünscht, von einem Helfer eine tödliche Spritze besorgen und reichen lassen, er injiziert sie aber eigenhändig und hat so bis zum Schluss die Möglichkeit in der Hand, sein Vorhaben abzubrechen.
Eine besondere Schwierigkeit ergibt sich, wenn der Helfer eigentlich die Pflicht hat, das Leben des betroffenen Menschen zu retten. Wenn also ein Arzt absichtlich im Einverständnis dem Patienten eine zu hohe Dosis Medikamente überlässt, bringt er sich rechtlich gesehen in eine sehr schwierige Position. - Nimmt der Helfer eine aktivere Rolle ein, bei der der Selbstmörder ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr bestimmen kann, ob er wirklich fortfahren möchte, ist die Grenze zur Tötung auf Verlangen fließend. Verlangt der Mensch, der Selbstmord begehen möchte, zum Beispiel, dass der Helfer ihn zuvor betäubt, damit er keine Schmerzen verspürt, verliert er dadurch die Kontrolle über das Geschehen. Diese Situation kann für den Helfer ernsthafte rechtliche Konsequenzen haben, denn Tötung auf Verlangen ist ein kriminelles Delikt.
- Das Sterbenlassen auf Wunsch des Patienten oder Selbstmörders bewegt sich in dem Bereich der aktiven und passiven Sterbehilfe. Bei der passiven Sterbehilfe werden Maßnahmen unterlassen, die das Leben des Patienten retten könnten – eine Maschine wird nicht angestellt, ein Medikament wird nicht verabreicht. Auch jemand, der einen schon bewusstlosen Menschen findet, der sich offensichtlich umbringen möchte und nichts unternimmt, leistet damit quasi passive Sterbehilfe – eine Grauzone im Rechtsbereich, die immer wieder unterschiedlich betrachtet wird.
Bei der aktiven Sterbehilfe hingegen unternimmt der Helfer explizit Maßnahmen, die zum Tod des Patienten führen – die lebenserhaltende Maschine wird abgestellt, der Tropf mit den unbedingt notwendigen Medikamenten entfernt, eine tödliche Spritze gegeben. Auch hier ist die Rechtslage sehr verzwickt, denn in manchen Fällen erlaubt der Gesetzgeber zum Beispiel das Abschalten einer Maschine, andere Maßnahmen hingegen sind untersagt und werden geahndet. - Eine Sonderform ist der Doppelselbstmord, bei dem zwei Menschen beschließen, sich gemeinsam das Leben zu nehmen. Hierbei können sie die Vereinbarung treffen, sich gegenseitig zu töten oder sich dabei zu helfen. Berühmte Doppelselbstmorde sind in der Geschichte schon mehrfach vorgekommen, so zum Beispiel Kronprinz Rudolf, der seine Geliebte Baronesse Mary Vetsera und dann sich selbst erschoss. Auch Adolf Hitler und Eva Braun gehören zu den berühmten Paaren der Doppelselbstmörder. Überlebt jedoch einer der Partner, muss er oder sie unter Umständen mit einer Mordanklage rechnen.
- Bei einem erweiterten Suizid töten die Selbstmörder erst andere Menschen, ehe sie sich zum Schluss selbst das Leben nehmen. Bekannt sind etliche Fälle, in denen stark depressive Menschen erst ihre Familie getötet haben, weil sie in ihrer emotionalen Verfassung glaubten, sie könnten ihnen das Leben in einer so schrecklichen Welt nicht weiter zumuten. Auch der Amoklauf ist ein erweiterter Suizid, wenn sich der Täter zum Schluss selbst das Leben nimmt.
- Eine noch extremere Form ist der Massensuizid. Dabei bringen sich mehrere Menschen aus dem gleichen Anlass und mit der gleichen Motivation um. Dieses Phänomen ist schon aus der Frühzeit bekannt, so haben sich im Jahr 73 nach Christus in der Stadt Masada an die 900 Menschen umgebracht, weil sie den belagernden Römern nicht lebend in die Hände fallen wollten. Aus der Neuzeit kennt man zum Beispiel die Massenselbsttötung von 61 Mitgliedern der Sekte der Sonnentempler, die sich 1994 in der Schweiz umgebracht haben.
- Der gezielt veranlasste Selbstmord aus kriegerischen und taktischen Gründen ist ein Mittel, welches ebenfalls immer wieder eingesetzt wird. Bekannt sind sicher die Kamikaze-Flieger aus Japan, die im Zweiten Weltkrieg sich und ihr Flugzeug als Bombe benutzten. Auch Selbstmordattentäter im islamischen Raum begehen diese Suizide im Kampf gegen ihre Gegner, um einen Vorteil zu erlangen. Fraglich ist hier, ob man überhaupt von Selbstmord sprechen kann, denn die Probanden haben oft nicht die freie Wahl, den erteilten Auftrag abzulehnen. Daher wird ein solches Vorgehen oft eher als Mord durch die höheren Instanzen eingestuft.
- Der öffentliche gemeinsame Selbstmord als Regimekritik kann auch immer wieder beobachtet werden. Mitglieder einer unterdrückten Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe begehen an einem öffentlichen Platz Selbstmord, um auf die in ihren Augen unhaltbaren Zustände hinzuweisen. So haben sich im Jahre 2011 12 Tibeter selbst angezündet, um gegen die Politik Chinas in Tibet zu protestieren. Diese Selbstmorde werden von der Öffentlichkeit oft als heroische Tat zum Wohle der Gemeinschaft angesehen, rufen aber durch ihre schreckliche Intensität auch großes Entsetzen hervor.
Der Suizid gehört also offensichtlich seit Urzeiten zum Repertoire menschlicher Verhaltensweisen und wird wohl auch in der Zukunft nicht wegzudenken sein. Allerdings ist es für die Menschen, die dem Selbstmörder nahe standen, immer ein schwerer Schlag, egal, aus welchem Grund oder wie sich der Mensch das Leben genommen hat, und ob die Angehörigen die Motivation zu der Tat nachvollziehen können oder nicht. Die Lücke, die er oder sie gerissen hat, wird für immer bleiben, für immer schmerzen.
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Artikel geschrieben von Irene Becker
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