Erinnerungen zulassen
Niemand ist richtig darauf vorbereitet. Nicht die Älteren, nicht die Jungen. Der Tod kommt, wann er will. Was dann ist, übersteigt alles Vorstellbare. Auch wenn wir, bis wir selber sterben, den Tod und das Sterben in unzähligen Varianten sehen. Den langsamen Tod der kranken Tante, den Unfalltod des Freundes aus der Clique, den plötzlichen Tod der Nachbarin. Wohin ist sie gegangen? Bevor man diese Frage stellt, muss man eigentlich fragen: Wer war dieses "sie"?
Wir leben in einem Beziehungsgeflecht. Wir sind verbunden mit anderen von Geburt an, wir verbinden uns mit ihnen im Laufe unseres Lebens. Wir und unsere Familien, wir und unsere Freunde, wir und unsere Umgebung: Und wenn jemand aus dieser Gemeinschaft stirbt, dann wird dieser Kreis irritiert - ein Teil fehlt. In unserem Zusammensein klafft nun ein Loch. Doch wir wollen einen Kreis schließen, den Riss flicken, ein Ganzes bilden. Doch wie – wenn der geliebte und vertraute Mensch nicht mehr da ist - und die Sehnsucht nach dem/der Verstorbenen groß?
Erinnern ist heilsam
In uns lebt dann die Erinnerung – Erinnerungen und Gefühle überfallen uns regelrecht. Oft sind es schöne Andenken an die gemeinsam verbrachte Zeit, an gemeinsames Lachen, an gemeinsam besuchte Orte. Andenken, die sich teilen lassen, mit Verwandten, Bekannten und Freunden. Aus diesen Erinnerungen formt sich noch einmal der geliebte Mensch – sein Wesen, seine ureigenste Art kristallisieren sich deutlich heraus.
Was aber, wenn sich eine unliebsame Erinnerung Bahn bricht, wenn Gedanken auftauchen, die eine unangenehme Seite des oder der Verstorbenen ans Tageslicht bringen? Schuldgefühle stellen sich ein. Der Trauerprozess kommt ins Stocken. Wir sind entsetzt über uns selbst: Dürfen diese Gedanken sein?
Den ganzen Menschen würdigen
Ja, sie dürfen – und sie sollen sogar sein. Denn nur so bleibt der Verstorbene wirklich lebendig in Erinnerung, nur so werden wir ihm gerecht: Wenn wir ihn mit seinen Vorzügen, seinen liebenswerten Seiten, seinen Ecken und Kanten und seinen Unzulänglichkeiten in uns weiterleben lassen - als der Mensch, der er für uns war. Von dem wir uns dann gut verabschieden können, wenn wir wirklich alles, was ihn ausgemacht hat, noch einmal angesehen haben. Und als dem/der Toten zugehörig gewürdigt. Ein sehr ehrlicher Trauerprozess kann so weitergelebt werden.
Artikel geschrieben von Eva-Maria Glagau
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