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Von Sophia 24.03.2020 um 11:39 Uhr | melden
Liebe Lea,
schon seit fünf Jahren bist du nun nicht mehr bei uns.
Fünf Jahre kommen mir kurz vor, weil die Bilder und die Erinnerungen an damals noch so im Kopf präsent sind, dass es sich anfühlt, als wäre es erst gestern passiert.
Fünf Jahre kommen mir aber auch lang vor, wenn ich darüber nachdenke, was du in dieser Zeit alles verpasst hast, was sich auf der Welt ereignet hat und was sich in deinem Leben ereignet hätte.
Fünf Jahre müssen sich vor allem unendlich lang anfühlen für deine Eltern, deinen Bruder, deine Freunde und alle, die dich so schmerzvoll vermissen. Ich erinnere mich an die Aussage eines Mädchens aus der Trauergruppe vor dem ersten Jahrestag: „Jetzt kann ich immer noch sagen: Heute vor einem Jahr war noch alles gut.“ Und heute? Heute liegt das Gute schon so lange in der Vergangenheit. Wissen deine Lieben überhaupt noch, wie es sich anfühlt, glücklich zu sein? Und damit meine ich nicht nur, mal zu lachen oder sich mal nett zu unterhalten.
So viele glückliche Familien wurden von einer Sekunde auf die andere auseinandergerissen, so viel Träume und so viel Freude wurde zerstört. Nur weil ein einziger Mensch seine Interessen durchsetzen musste. Ich begreife bis heute nicht, wie so etwas zugelassen werden kann. Mein Glaube an eine gute Welt ist erschüttert.
Die Situation, die wir momentan haben, fühlt sich für mich ein bisschen so an wie damals. Man spürt, dass in der Welt gerade etwas kaputtgeht und sie auf einmal nicht mehr die gleiche ist. Ich erinnere mich noch, wie ich am Tag nach der Schreckensmeldung vom Absturz auf der Straße unterwegs war und mich ein fremder Mann so ausgesprochen freundlich gegrüßt und mir zugelächelt hat, als wollte er sagen: Schön, dass du noch da bist. Auch jetzt achten viele Menschen wieder mehr aufeinander. Aber diesmal ist es anders, diesmal betrifft es jeden. Jeder könnte krank werden, jeder hat ältere oder vorbelastete Angehörige, die er nicht anstecken möchte. Damals waren wenige Menschen direkt betroffen von der Katastrophe und das Leben ging schnell wieder in gewohnten Bahnen weiter, vielleicht nicht in Haltern, aber fast überall sonst. Und das Traurige ist, man ist einfach wieder mitgelaufen, natürlich macht man auch weiter, obwohl es sich eigentlich so falsch anfühlt und so ungerecht, dass ich noch hier sein darf, wo du doch nicht mehr hier bist.
Aber auch wenn ich dich nicht kannte, spüre ich die Lücke, die du hinterlassen hast. Es gab kaum einen Tag in diesen fünf Jahren, an dem ich nicht an dich gedacht habe, und heute sind alle diese Erinnerungen an dich in meinem Kopf.
Ich erinnere mich daran, wie ich am Tag danach deinen Namen in der Zeitung gelesen habe, mit einem Bild aus Spanien. Ich erinnere mich, wie ich immer wieder in Schockstarre deine wunderschönen Bilder auf Instagram angeschaut habe mit den Posts, die so viel Lebensfreude und Optimismus ausstrahlen, und es nicht fassen konnte, wie dein Leben so früh auf einmal enden konnte. Ich erinnre mich, wie ich einen Tag vor deinem Geburtstag meine erste Kerze auf dieser Gedenkseite für dich angezündet habe, die ich wieder habe löschen lassen, weil ich mir so unsicher war, ob ich damit nicht jemanden verletze. Ich erinnre mich an eure Rückkehr nach Haltern, die ich in den Medien verfolgt habe, und deine Traueranzeige, auf der du strahlend über einem Regenbogen sitzt. Ich erinnere mich an das Fotoalbum mit Bildern aus Spanien, das deine Mutter zum ersten Jahrestag gezeigt hat. Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch an deinem Grab und an die Eröffnung deines Theaters.
Es ist schade, dass ich nur Erinnerungen an dich habe, die mit deinem Tod zusammenhängen, und von deinem Leben nur gehört oder gelesen habe. Ich wünschte so sehr, ich könnte dich einmal kennenlernen, dich in den Arm nehmen, dir nah sein. Auch damit du nicht alleine bist.
In diesem Jahr können deine Lieben nicht mit den anderen Angehörigen in Le Vernet zusammenkommen, das macht mich traurig. Ich möchte nicht, dass das Gedenken an dich jemals in den Hintergrund gerät. Und ich möchte auch nicht, dass deine Familie und die anderen Opferfamilien so alleine dastehen mit all ihrem Schmerz.
Ich hoffe du weißt, liebe Lea, dass die Gedanken deiner Lieben natürlich bei dir sind, auch wenn dieser Jahrestag so anders ist. Ich hoffe, dass deine Familie weiß, dass sie nicht alleine ist in ihrer Trauer, sondern dass viele Menschen an dich denken und dich vermissen.
Liebe Lea, egal was passiert, du wirst immer deinen Platz in meinem Herzen haben.
Du fehlst mir sehr..
In ewiger Liebe, deine Sophia