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von Astrid Bukrhardt am 15.04.2012 - 11:34 Uhr | melden
Der 29. September 2011 war ein schöner Tag, der vorletzte Tag meiner Probezeit in der neuen Firma. Ich hatte mich nach der Arbeit mit Franzy zum Einkaufen verabredet. Wir saßen im Café und sprachen unter anderem auch darüber, was wir Jacob zum Geburtstag schenken könnten. Es waren schließlich nur noch vier Wochen Zeit, bis zu seinem 24. Geburtstag. Anschließend fuhren wir gemeinsam zu uns nachhause. Micha hatte für uns gekocht und wir waren gerade fertig mit essen. Ich sagte, dass wir Jacob noch anrufen müssten um uns für morgen Abend zu verabreden. Wir wollten alle gemeinsam zu einem Konzert und meine bestandene Probezeit feiern. In diesem Moment klingelte Franzys Telefon und Jacobs Bild erschien groß auf dem Display. Es klingelte immer wieder und hörte nicht auf! Normalerweise lässt Jacob nur einmal klingeln, dann ruft Franzy zurück. Aber es hörte nicht auf zu klingeln, sodass Franzy schließlich ran ging. Es meldete sich eine Frau, die sagte, sie rufe von dem Handy eines jungen Mannes an, der hier ins Krankenhaus eingeliefert wurde und ob sie wüsste, wer das sei. Franzy sagte: „Das ist mein Bruder.“ Die Frau fragte, wie er heiße, wie alt er wäre, ob er Medikamente nähme oder Allergiker sei. Franzy beantwortete die Fragen. Dann fragte sie: „Ist er denn nicht ansprechbar?“ Die Antwort: „Nein, er ist bewusstlos. Er hat schwerste Kopfverletzungen. Er wurde stabilisiert, es wurde ein Ganzkörper-CT gemacht und er wird jetzt in den OP gebracht.“ Wir sollten zum Krankenhaus kommen. Es wurde ihr noch die Adresse und die Station mitgeteilt.
Wir riefen ein Taxi, da jetzt keiner von uns in der Lage war Auto zu fahren. Während der Taxifahrt versuchte ich Jacobs Freundin Henni zu erreichen. Es war lange besetzt. Als ich sie endlich am Handy hatte, lachte sie und sagte, warum ich jetzt anriefe, sie warte doch auf einen Anruf von Jacob. Ich sagte ihr, dass Jacob nicht anrufen könne, er hatte einen Unfall und dass sie zum Krankenhaus kommen solle.
Dann rief ich meine Schwester an, um ihr mitzuteilen, was passiert ist. Sie sagte, sie würden zum Krankenhaus kommen. Ich erreichte auch seinen Freund und Mitbewohner Felix. Ich fragte ihn, ob Jacob mit dem Fahrrad unterwegs war. Er sagte, dass sie am Morgen zusammen mit dem Fahrrad losgefahren seien. Das war eine schlimme Nachricht für mich! Ich hatte bei diesem Fahrrad von Anfang an kein gutes Gefühl. Es war ein sehr schnelles Sportrad, welches Jacob sich erst zwei Wochen zuvor gekauft hatte und uns sehr stolz präsentiert hatte - also war es ein Unfall mit dem Fahrrad! Der Gedanke war schrecklich!
Nach einer endlos langen Taxifahrt kamen wir im Krankenhaus an. Auf der Intensivstation erklärte uns der Stationsarzt, dass Jacob gerade operiert würde. Er könne uns nichts weiter sagen, er wäre kein Neurochirurg und wir müssten warten. Während wir warteten trafen die anderen ein. Leroy, sein Cousin, kam mit seiner Freundin. Seine Mitbewohner kamen und brachten Sachen für Jacob mit. Die Schwestern der Intensivstation versorgten uns mit Kaffee und Wasser.
Keiner weiß mehr, wie lange es dauerte, bis der Arzt uns sagte, dass sie Jacob jetzt aus dem OP holen würden. Er sagte, wir sollen keinen Schreck bekommen. Es dauerte noch eine Weile, bis der Fahrstuhl sich in die 2. Etage in Bewegung setzte. Dann ging die Fahrstuhltür auf. Sie schoben unseren Sohn an uns vorbei. Seine Freundin sagte, dass er das nicht sei. „Das ist doch nicht Jacob!“ Aber es war unser Sohn, kaum zu erkennen. Der Kopf war stark geschwollen, die Augen blutunterlaufen, die blonden Locken von Blut und Desinfektionslösung verklebt, auf der rechten Seite abrasiert. Ein schreckliches Bild, das wir nie vergessen werden!
Nachdem Jacob in einem Zimmer der Intensivstation an die Geräte angeschlossen war, dürften wir zu ihm. Dann wollten die Ärzte mit uns sprechen. Die Neurochirurgin, die Jacob operiert hatte, erklärte uns die Situation. Sie sagte, sie hätten ihn nur operiert, weil er ein so junger und gesunder Mensch sei. Die Chancen stünden nicht gut. Seine Pupillen seien stark geweitet, was ein ganz schlechtes Zeichen bei derartigen Verletzungen sei.
Wir dürften alle zu ihm. Henni konnte es nicht. Sie wartete draußen. Sie sagten, dass sie ihn in ein tiefes Koma versetzt hätten, damit er sich nicht bewegt. Wir saßen noch lange an seinem Bett und hielten seine Hände. Dann beschlossen wir zu Franzy nach Hause zu fahren, da dann der Weg zum Krankenhaus nicht so weit ist. Falls sich sein Zustand ändern sollte, wollten wir so schnell wie möglich bei Jacob sein. Franzys Freund holte uns mit dem Auto ab.
Am nächsten Morgen, nach ca. 3 Stunden Schlaf, mittels Beruhigungstabletten, waren wir alle froh, dass das Telefon nachts nicht geklingelt hatte. Wir hatten noch Hoffnung und dachten, wenn er die erste Nacht überstanden hat, wäre das Schlimmste überstanden. Er wird es schaffen!
Als wir am nächsten Tag zum Krankenhaus kamen, wollten die Ärzte gleich mit uns sprechen. Der Stationsarzt erklärte uns, dass Jacobs Herz es nicht mehr schaffe Blut ins Gehirn zu pumpen, da der Druck der Schädeldecke auf das geschwollene Gehirn zu stark sei. Zwei unabhängige Neurochirurgen hätten schon festgestellt, dass kein Blut mehr ins Gehirn gelangt. Da war mir sofort klar, kein Blut, kein Sauerstoff! Ich sah den Arzt an und sagte: „Und dann kommt die Frage nach der Organspende?“ Der Arzt sah mich an und sagte: „Die Frage hätte ich jetzt noch nicht gestellt, aber später.“ Ich sagte, dass wir darüber reden müssen. Micha und Franzy stimmten mir zu.
Viele Familienmitglieder und Freunde waren zum Krankenhaus gekommen. Wir haben mit allen über die Möglichkeit, Jacob zur Organspende freizugeben, gesprochen. Es waren alle der Meinung, dass das in Jacobs Sinne wäre. Er hätte helfen wollen, bis zum Schluss! Wir hatten mit unserem Sohn nie über Organspende gesprochen.
Es wurde noch eine letzte Untersuchung gemacht, ein CT, welches die Diagnose der Neurochirurgen bestätigte. Am 30.09.2011 um 16:41 Uhr wurde unser Sohn Jacob für hirntot erklärt. Wir waren völlig fassungslos.
Für mich war die Entscheidung Jacob zur Organspende freizugeben auch eine Chance etwas von ihm am Leben zu erhalten. Mir war es ganz wichtig, dass vielleicht auch sein Herz weiterleben könnte.
Jacob wurde dann in ein Einzelzimmer verlegt. Der Arzt vom Organspendeverein DSO sprach mit uns und beantwortete unsere Fragen. Er sagte, wir können Jacobs Freunde alle benachrichtigen, wir hätten so viel Zeit, wie wir bräuchten, um uns von Jacob zu verabschieden. Es könnten alle kommen.
Jacobs ältester Freund ist 14 Tage älter als Jacob. Sie kannten sich seit Jacobs Geburt. Er war an diesem Tag unterwegs nach Frankfurt am Main. Der Zug hatte seinen letzten Halt in Halle bereits hinter sich, als ihn die Nachricht erreichte, dass sein bester Freund schwer verletzt im Krankenhaus liegt. Er ging zum Zugbegleiter und es wurde organisiert, dass der Zug in Kassel hält, damit er aussteigen und zurück nach Berlin fahren konnte. Aber, als er in Berlin aus dem Zug stieg, konnte seine Mutter ihm nur mitteilen, dass Jacob es nicht geschafft hatte. Er kam sofort mit seiner Freundin und seinem 3 Wochen alten Sohn zum Krankenhaus um sich von Jacob zu verabschieden. Wir waren noch viele Stunden an Jacobs Seite, wussten wir doch, dass es die letzten sind.
Jacob hatte so viele Freunde, alle die es ermöglichen konnten kamen zum Krankenhaus um sich von ihm zu verabschieden und um uns beizustehen.
Gegen 21:00 Uhr sagten wir dem Team vom Organspendeverein, dass wir jetzt gehen würden. Wir fuhren dann in Franzys Wohnung und versuchten auch die Freunde von Jacob, die wir bisher nicht erreichen konnten, zu benachrichtigen. Wir wussten, dass Jacob zu dieser Zeit bereits für die Operation zur Organentnahme vorbereitet wurde, aber wir wussten auch, dass er damit anderen Menschen zu einem lebenswerten Leben verhelfen kann oder sogar Leben retten kann.
Am nächsten Morgen hatten wir alle das Gefühl, dass wir zu Jacob ins Krankenhaus fahren müssten, aber wir wussten, dass das nicht mehr möglich ist. Wir hatten uns gestern Abend von ihm verabschiedet.
Eine Woche später erhielten wir Nachricht vom Organspendeverein. In einem Brief bekamen wir die Information, dass für Jacobs Herz, seine Leber und beide Nieren Empfänger gefunden wurden.
Der Kontakt zum Organspendeverein besteht weiterhin und irgendwann werden wir vielleicht auch Kontakt zu den Empfängern aufnehmen können, wenn auch seitens der Empfänger ein Interesse daran besteht.
Ende 2013 erhielten wir auf Anfrage noch mal eine Auskunft über den zustand der Empfänger. Es geht allen vier Menschen, die ein Organ von unserem Sohn erhalten haben, gut. Dies nimmt ein klein wenig von der Sinnlosigkeit seines Todes.
In diesem Jahr (nach fast drei Jahren) wird nun endlich die Schuldfrage an diesem schrecklichen Unfall vor Gericht geklärt.
Jacob hatte keinen Alkohol getrunken (er kam von der Arbeit), er fuhr auf dem Radweg auf der Hauptstraße, nur leider war die Ampel aus und so ist es zu dem Unfall gekommen.
Leider ist auch diese Gerichtsverhandlung für uns sehr belastend gewesen, es fand nämlich keine Verhandlung statt, weil angeblich alle Zeugen nicht erschienen sind!!??
Die Staatsanwältin hatte die Akte nur bis zu dem Punkt gelesen, wo der angebliche Alkohol auftauchte, deshalb sah sie gar keine Veranlassung zu der Gerichtsverhandlung. "Was soll denn hier eigentlich verhandelt werden? Der Radfahrer war doch betrunken." Aber, dass dies mithilfe eines Gutachtens widerlegt war, wusste sie nicht, sie hatte nämlich ihre Hausaufgaben nicht gemacht, sie hatte die Akte nur überflogen.