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Gedenkseite für Günter Gaus
Er war ein engagierter und hochverehrter Journalist, Publizist, Diplomat und Politiker. Für sein journalistisches Schaffen erhielt Günter Gaus unter anderem den Adolf-Grimme-Preis (1988) und den Deutschen Kritikerpreis (1991).
23. November 1929
Gaus wird in Braunschweig als Sohn eines Kaufmanns geboren. Er studiert an der Universität München Geschichte und Germanistik und wendet sich noch vor dem Studienabschluss dem Journalismus zu.
Von 1953 bis 1965
ist Gaus als politischer Redakteur bei verschiedenen Tages- und Wochenzeitungen tätig. Außerdem arbeitet er regelmäßig beim Zweiten Deutschen Fernsehen.
Seit 1963
Bis heute stößt die Reihe "Zur Person - Porträts in Frage und Antwort", in der Gaus mit zahlreichen Prominenten aus Politik, Wissenschaft und Kunst einen neuen Stil des fernsehgerechten Interviews entwickelte, auf breites Interesse.
Die einzigartige Reihe führt er später z.T. unter anderen Sendungstiteln beim SWF ("Zu Protokoll") und WDR ("Deutsche"), ab 1990 beim DFF, seit 1992 beim ORB fort. Ein Teil der Interviews des "bekanntesten Hinterkopfs" des deutschen Fernsehens erscheint später auch in Buchform ("Zur Person. Porträts in Frage und Antwort").
1965
stellte sich Gaus mit dem Buch "Bonn ohne Regierung - Kanzlerregiment und Opposition" als politischer Publizist vor. In dieser Studie ist u.a. der Regierungsstil von Ludwig Erhard Gegenstand der Untersuchung. Gesprächsaufzeichnungen Gaus mit Herbert Wehner erscheinen 1966 mit dem Titel "Staatserhaltende Opposition oder hat die SPD kapituliert?".
Zu aktuellen politischen Fragen nimmt Gaus auch in den Zeitschriften "Monat" und "Merkur" Stellung. Am 9. April 1965 wird Gaus zum Programmdirektor Hörfunk und Fernsehen.
1969
wechselt er als Chefredakteur zum "SPIEGEL", für den er bis Ende März 1973 tätig ist. Gaus gehört in dieser Zeit zu den wichtigsten journalistischen Befürwortern der von Bundeskanzler Willy Brandt und Egon Bahr initiierten Ostpolitik.
1973
ernennt die Bundesregierung Gaus, der als Ständiger Vertreter der Bundesregierung bei der DDR vorgesehen ist, zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Seine offizielle Ernennung zum Ständigen Vertreter erfolgt nach Inkrafttreten des Grundvertrages am 21. Juni 1973.
1974
Als Ständiger Vertreter der BRD bei der DDR wird Günter Gaus akkreditiert. Nachdem die Frage der Errichtung der Ständigen Vertretungen der Bundesregierung und der DDR in Ostberlin bzw. Bonn wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten und allgemeiner Verhärtung des Verhandlungsklimas zunächst einige Zeit auf Eis liegt, wird das entsprechende Protokoll schließlich Mitte März 1974 in Bonn von Gaus und DDR-Außenminister Nier unterzeichnet.
Als "Chefunterhändler" der Bundesregierung handelt Gaus insgesamt 17 Abkommen mit der DDR aus, darunter die Verkehrsverträge über den Bau einer neuen Autobahn Berlin - Hamburg, den Ausbau des Teltow-Kanals Ende 1978 und die Pauschalierung der Straßenbenutzungsgebühren im innerdeutschen Reiseverkehr im Oktober 1979.
1981
übernimmt Gaus eine neue politische Aufgabe als Wissenschaftssenator im neu gebildeten Berliner Senat des Regierenden Bürgermeisters Hans-Jochen Vogel. Bereits im Juni 1981 endet sie, nachdem die CDU - nach ihrem Erfolg bei den vorgezogenen Wahlen zum Abgeordnetenhaus - mit der FDP einen neuen Senat unter Richard von Weizsäcker bildet.
In der Folge widmet sich Gaus wieder journalistischen und publizistischen Aufgaben. Außerdem beruft ihn der SPD-Vorsitzende Willy Brandt im Oktober 1981 zum deutschland- und außenpolitischen Berater der Internationalen Kommission beim SPD-Vorstand.
1981 war Gaus Mitglied der SPD. 2001 ist er aus der Partei ausgetreten.
1983
erscheint das Buch "Wo Deutschland liegt", in dem sich Gaus mit den von ihm beobachteten Lebensverhältnissen in der DDR-"Nischengesellschaft" auseinandersetzt. Das Buch wird im Mai 1987 von der Arbeitsgemeinschaft der Verleger, Buchhändler und Bibliothekare zum "politischen Buch des Jahres" gewählt.
Seine Überlegungen zur Sicherheitspolitik stellt Gaus in dem Buch "Deutschland und die NATO - Drei Reden" (1984) vor. Er ist außerdem Co-Autor des Buches "Industrialisierung des Bewußtseins" (1985). Ein Psychogramm der westdeutschen Gesellschaft beschreibt er in "Die Welt der Westdeutschen. Kritische Betrachtungen" (1986).
1987
erscheint "Deutschland im Juni". Allein die Titel seiner Bücher belegen, wie sehr das Denken und Nachdenken von Gaus Deutschland gewidmet ist.
1989
Nach dem Fall der Berliner Mauer regt Gaus eine "Deutschland-Konferenz der vier Siegermächte" mit dem Ziel an, eine "zentraleuropäische Konföderation" (mit den beiden deutschen Staaten, Polen, der ČSSR und Ungarn) zu schaffen, in der sich das deutsch-deutsche Verhältnis in Ruhe entwickeln könne.
1990
In der Erzählung "Wendemut" beschreibt Gaus die von ihm erwarteten Schwierigkeiten bei der Herstellung der inneren Einheit Deutschlands.
1991
Verleihung des Deutschen Kritikerpreises. Januar - Juni: Mitglied im neu geschaffenen Rundfunkbeirat der fünf neuen Bundesländer.
1998
Veröffentlichung von "Kein einig Vaterland. Texte von 1991 bis 1998".
1998/99
Neuauflage und Erweiterung der Reihe "Zur Person" in bisher fünf Bänden. Darin werden Interviews mit Schriftstellern (Band 1), Ministerpräsidenten (Band 2), bildenden und darstellenden Künstlern (Band 3), Frauen (Band 4) und Zeugen der Geschichte (Band 5) wiedergegeben.
18. August 1999
Die im Laufe der Zeit entstandenen über 180 Interviews-Porträts werden an das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn in Form einer Videodokumention übergeben.
2002
Eine Auswahl der frühen Interviews erscheint im Verlag "Das Neue Berlin" unter dem Titel "Was bleibt, sind Fragen".
14. Mai 2004
74-jährig verstirbt Günter Gaus.
In der Interviewreihe "Zur Person" kreierte Günter Gaus einen neuen Stil des Fernsehinterviews, der ihn bei Zuschauern und Kollegen einzigartig machte.
Die Fernsehinterviewreihe "Zur Person" von Günter Gaus ist eine Reihe der Superlative. Sie besteht – mit einer längeren Unterbrechung – 2003 seit 40 Jahren. Er führte seither etwa 220 Interviews mit Prominenten aus Politik, Wissenschaft und Kunst, darunter allen deutschen Bundeskanzlern.
Aus verschiedenen Anlässen werden gelegentlich einzelne Interviews im Fernsehen wiederholt, etwa Klassiker unter den "frühen" Stücken, wie das Gespräch mit Hannah Arendt, das mit Gustaf Gründgens oder mit Rudi Dutschke. Und es ist unschwer vorherzusagen, dass auch etliche Interviews aus jenem Abschnitt, der 1990 mit den Porträts der neuen Köpfe in der Wendezeit begann, als wesentliche Zeit- und biographische Dokumente wiederaufgeführt werden.
Das "Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" in Bonn hat die Reihe in seinen Dokumentenbestand aufgenommen. Die Interviews würden, so heißt es dort, einen "unmittelbaren Eindruck von den Chancen und Problemen beim Zusammenwachsen der ehemals getrennten Teile Deutschland" vermitteln.
1963: "Zur Person" startet im ZDF
Fast wie eine Klammer umfasst die Interviewreihe "Zur Person" die berufliche Karriere von Günter Gaus, die ihn als politischen Redakteur durch die Redaktionen verschiedener Tages- und Wochenzeitungen führte, darunter die "Süddeutsche Zeitung".
Wegen der brillanten Politikerporträts, die er für diese Zeitung schrieb, bot ihm das ZDF 1963 an, Interviews fürs Fernsehen zu führen. Die intelligente Hartnäckigkeit, mit der Gaus fragte, machte ihn auf einen Schlag bekannt. Der optische Stil der neuen Reihe wirkte expressiv wegen ungewöhnlich naher Kamera-Einstellungen und wegen der Tatsache, dass der Zuschauerblick ausschließlich auf den jeweiligen Gast gerichtet war und außerdem, weil der sogenannte Achssprung, der unter Film- und Fernsehleuten als Bildschnittfehler gilt, bewusst als ein Stilmittel eingesetzt wurde.
1965: Fortsetzung beim Südwestfunk als "Zu Protokoll"
Der Erfolg seiner Reihe beim Publikum (Quote) und bei der Kritik (Preise) lenkte den journalistischen Weg von Gaus ("Bekanntester Hinterkopf") noch weiter zum Fernsehen.
"Zur Person" ist überdies die einzige deutsche Fernsehreihe, die nacheinander in fünf verschiedenen Sendeanstalten produziert wurde. Nach dem Start beim ZDF führte Günter Gaus sie beim Südwestfunk (ARD) fort, wo er 1965 Programmdirektor geworden war. Weil das ZDF den Titel nicht freigab, hieß die Reihe nun "Zu Protokoll". In den 80er Jahren produzierte der WDR die Reihe unter dem Titel "Deutsche".
Von 1969 bis 1973, als Günter Gaus Chefredakteur beim SPIEGEL war, entstanden weitere Folgen. Während der Tätigkeit im Staatsdienst (1973-1981) pausierte der Interviewer.
1990: Wieder "ZUR PERSON" beim DFF
Im Januar 1990, als Hans Bentzien, damals Intendant des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin-Adlershof, Günter Gaus die Wiederaufnahme der Reihe anbot, geschah dies ganz sicher sowohl als Wertschätzung der früheren Interview-Staffel, wie auch aus Kenntnis der Kompetenz, die sich Gaus als sensibler Beobachter der DDR in den Jahren seit 1974 erworben hatte.
Erster Interviewpartner war Friedrich Schorlemmer im Februar 1990.
1992: "Zur Person" im ORB
Fortgeführt seit 1992 durch den ORB, ist "Zur Person" eine der wenigen Sendungen des DFF, die in einer der ostdeutschen Landesrundfunkanstalten noch existiert, mithin die einzige Reihe, die tatsächlich in drei verschiedenen Ländern produziert wurde: in der alten BRD, in der DDR der Wendezeit sowie im neuen Deutschland, wie es mit dem 3. Oktober 1990 entstand.
Und am Rande: Es ist die einzige Sendereihe einer öffentlich-rechtlichen Anstalt, die auch von kommerziellen Sendern ausgestrahlt wird – von XXP, dem Sender der SPIEGEL-Gruppe und auf SAT 1 im Kulturfenster von Prof. Alexander Kluge (dctp).
Formal sind die Sendungen über die Jahre fast gleich geblieben: Ein Vorspann (Was für eine Musik? – die meistgestellte Frage an die Redaktion. Es ist Beethoven, Musik zu einem Ritterballett), ein kurzer Vorspruch (der einzige Moment, in dem man dem Interviewer ins Gesicht schauen kann), knapp 45 Minuten Interview, Abspann. Es handelt sich stets um voraufgezeichnete Sendungen, das Interview wird aber so gezeigt, wie es geführt wurde – ungekürzt, ungeschnitten.
Gaus Interviewstil
Günter Gaus entscheidet allein darüber, wen er interviewt. Wer sich in der Medienlandschaft ein wenig auskennt, weiß, dass dies ein außergewöhnliches Privileg ist. Ungewöhnlich ist auch, dass aus den Sendungen keine Ausschnitte für andere Fernsehbeiträge verwendet werden dürfen. Gaus würdigt so die Bereitschaft seiner Gäste, sich offen und häufig auch zu privaten Dingen zu äußern, und will verhindern, dass Aussagen aus dem Zusammenhang, in dem sie gemacht wurden, gerissen werden können. Günter Gaus lässt seinen Gast vor Aufzeichnungsbeginn wissen, worüber er mit ihm sprechen will. Die konkreten Fragen verrät er nicht, mit Ausnahme der ersten. Vielleicht besteht der wesentliche Unterschied zwischen den Interviews der 60er und denen der 90er darin, dass der Frager seinen Interviewgästen an Lebenserfahrung meist ebenbürtig oder gar überlegen ist. Viele Antworten dürfte er ahnen, manche auch vorhersagen können. Vielleicht besteht heute für ihn die große Herausforderung darin, hartnäckig zuhören zu müssen.
Ich war vier Jahre alt, als die erste Folge von "Zur Person" gesendet wurde, seit einigen Jahren betreue ich die Reihe als Redakteur (was ich als großes Glück betrachte), wenngleich Günter Gaus einen Redakteur im klassischen Sinne gar nicht benötigt – unser kleines Produktionsteam versteht sich darum auch als eine Truppe, die Gaus anfeuert, immer weiterzumachen.
(Potsdam, im November 2002/ Hellmuth Henneberg)
(Quelle: RBB)