Eva-Maria Grieger

Eva-Maria
Grieger

23.06.1945
Horndorf
-
05.05.2023
Berlin

stimmungsbild

Gedenkseite für Eva-Maria Grieger

Eva-Maria Grieger (geb. Spiller) wurde im Sommer am 23. Juni 1945 in Horndorf geboren und starb am 05. Mai 2023 mit 77 Jahren in Berlin.

Meine Tante Evi starb einen dieser vergessenen Berliner Tode. Sie lebte von ihrer kleinen Rente in einem Seniorenappartementhaus in Berlin Spandau. Der Komplex hat 133 Wohneinheiten und wird von einem Sozialdienst betreut. Ende April 2023 wurde Evi zum letzten Mal lebend gesehen. Anfang Mai öffnete der Hausmeister aufgrund von Beschwerden über starken Geruch die Tür des Appartements. Man fand meine Tante auf dem Boden des Badezimmers, bzw. die Reste von ihr. Das genaue Todesdatum konnte aufgrund des Zustands der Leiche nicht mehr ermittelt werden. Das offizielle Todesdatum ist nur der Tag, an dem sie gefunden wurde.

Diese Informationen habe ich von der zuständigen Kriminalpolizei erhalten, nachdem ich den Sozialdienst angerufen habe, weil ich wissen wollte, warum in einer Wohneinheit mit 133 Appartements niemand bemerkt hat, dass meine Tante fehlt. Die Antwort interessiert mich immer noch.

Da Evi weder Festnetz noch Handy hatte, konnte sie nach ihrem vermuteten Sturz im Bad auch keine Hilfe rufen. Fremdeinwirkung wurde von der Polizei ausgeschlossen, da beim Öffnen der Wohnungstür der Schlüssel von innen steckte und der Riegel vorgeschoben war.

Warum habe ich nichts bemerkt? Weil wir nur noch sporadisch per Post Kontakt hatten. Ihr einziger Notfallkontakt war ihre Stiefschwester Brigitte, die in einem anderen Seniorenkomplex ganz in der Nähe wohnte. Als die Polizei meine Tante Brigitte vom Tod ihrer Schwester informierte, erlitt sie wenige Tage später einen Schlaganfall, von dem sie sich nie wieder erholte. Ende Januar 2024 starb auch meine Tante Brigitte, ohne je erfahren zu haben, wo ihre Schwester bestattet wurde.

Denn Evi`s Sohn schweigt. Der Berliner Teil der Familie wurde nicht einmal pro Forma über Datum, Ort und Uhrzeit der Beisetzung informiert. Man muss von einer anonymen Bestattung ausgehen, sodass es keinen konkreten Ort der Trauer gibt.

Deshalb bekommt Evi nun hier ihren Ort der Trauer. Vielleicht erinnert sich noch jemand außer mir an sie? Das wäre schön. Denn alles, was ich hier über Evi schreibe, sind meine eigenen Erinnerungen und die von Brigitte.

Evi war zumindest nach außen ein extrem übersprudelnder und lustiger Mensch. Ihr schallendes und strahlendes Lachen, so wie auf dem Foto von 1975 war ihr Markenzeichen. Wenn meine Tante Brigitte und Evi sich einfach nur unterhielten, dann war das eine Show für sich: ein Wort gab das andere, sie waren beide meisterhafte Erzählerinnen und konnten sich ebenso herrlich wie bissig aufregen. Heute hätte man die beiden einfach auf ein Sofa gesetzt, eine Kamera laufen lassen und das Ganze hochgeladen – der Rest wäre Geschichte.

Aber leider hatte Evi`s Leben doch zu viele Schattenseiten. Meine Tante Brigitte hat mir gelegentlich davon erzählt und das macht Evi`s Tod nur noch trauriger.

Evi hatte zwei Geschwister. Meinen früh verstorbenen Vater Horst und meine Tante Brigitte. Die vielen Familienfotos aus den 1950ern und 1960ern zeigen eine Familie, die damals in Goslar lebte und es zu bescheidenem und gemütlichem Wohlstand gebracht hatte.

Auf den meisten Fotos sieht man Evi lachen, aber oft mit einem leisen Zweifel im Gesicht, so als ob sie nicht ganz glauben könne, dass es etwas zu lachen geben könnte.

Als Kind eher schmal, wurde Evi als junges Mädchen mollig und hatte seitdem mit ihrem Gewicht zu kämpfen. Die Familienfotos belegen, dass die Mode der 1960er und 1970er gnadenlos zu Frauen war, für die Größe 38 zu klein war.

Nach der Schule machte Evi eine kaufmännische Ausbildung, arbeitete als Sekretärin und lernte irgendwann Anfang der 1970er Jahre Udo kennen. Udo sah so fantastisch aus, dass er damals wie heute als Model hätte arbeiten können: groß, schlank, markantes Gesicht, gewellte dunkelblonde Haare. Außerdem war er intelligent, ruhig, hatte eine angenehme Stimme und einen leisen, subtilen Humor. Als kleines Mädchen wollte ich ihn unbedingt heiraten.

Das übernahm dann Evi. 1973 wurde ihr Sohn André geboren. Evi und Udo lebten damals in der Nähe von Hannover in Laatzen in einem schicken Neubau. Ich besuchte sie oft, wenn ich meine Großeltern Herbert und Thea besuchte, die inzwischen von Goslar nach Hannover gezogen waren.

Udo verdiente gut, Evi gab ihren Job auf, kümmerte sich um ihren Sohn und baute ihr Nest. Ich war immer völlig hingerissen, wenn ich die Einrichtung der Wohnung sah. Auch in den 1970ern konnte man sich geschmackvoll einrichten. Ich habe die Einrichtung geliebt, die sich erheblich vom Stil meiner Musterverliebten Mutter unterschied.

Irgendwann Ende der 1970er bekam die Ehe von Evi und Udo Risse, die immer tiefer wurden. Udo war den ganzen Tag außer Haus und hatte seine Sozialkontakte bei der Arbeit, Evi war als Vollzeitmutter zuhause und kümmerte sich um das Kind. Da sie noch immer unter ihrem Gewicht litt und wenig Außenkontakte hatte, wurde sie immer eifersüchtiger, wenn ihr gut aussehender Mann das Haus verließ, um zur Arbeit zu gehen.

Evi wurde auch anspruchsvoller: ihr Sohn trug nicht einfach nur Sachen, es musste Markenware sein, sie benutzte nicht irgendeine Gesichtscreme, es musste die Teuerste sein. Einmal brachte Udo Äpfel von einem Kollegen mit, dessen Ernte aus dem Garten etwas üppig ausfiel. Aber Evi wollte keine Äpfel aus dem Garten, sie wollte Äpfel kaufen. Schließlich konnte man es sich leisten. Sie wollte auch keinen Apfelkuchen damit backen oder Apfelmus kochen. Evi wollte Kuchen und Apfelmus kaufen. Sie schmiss die Äpfel weg.

Laut meiner Tante Brigitte wurde Evi immer unbeherrschter. Ihre emotionale Stabilität war schwankend und sie hatte extreme Minderwertigkeitsgefühle. Udo und sie stritten sich immer öfter und immer lauter, bis es zu Handgreiflichkeiten kam. Die nicht von ihm ausgingen. Damals war diese Umkehrung der Rollen unvorstellbar und auch heute noch spricht man kaum darüber, wenn das Opfer nicht die Frau ist.

Als Udo es nicht mehr aushielt, trennte er sich von Evi Anfang der 1980er. Ungewöhnlich für das damalige Scheidungsrecht, aber unter den Umständen nachvollziehbar: Udo erhielt das Sorgerecht für André und Anspruch auf Unterhaltszahlungen von Evi. Sie musste dann wieder arbeiten, um von ihrem Sekretärinnengehalt Unterhalt für ihren Sohn zahlen zu können.

Udo nahm seinen Sohn, zog in ein anderes Bundesland, baute sich dort ein neues Leben auf, heiratete noch zweimal, sprach nie wieder über Evi und starb im August 2022.

Evi löste die Wohnung in Laatzen auf, lebte zuerst in Hannover, hatte verschiedene Jobs in ihrem alten Beruf und zog irgendwann Anfang der 1990er nach Berlin, weil dort auch ihre verheiratete Schwester Brigitte lebte. Und da auch ich in Berlin lebe, sahen wir drei uns gelegentlich und sprachen über unsere chaotische Familie und die guten alten Zeiten, die ja immer nur im Rückblick besser sind als sie nie waren.

Nur über Udo und André und den Grund der Trennung sprach Evi nie. Vielleicht hätte es ihr aber geholfen, darüber zu reden. In einer Therapie zum Beispiel. Hätte, hätte, Fahrradkette. Aber Evi hat diesen Teil ihres Lebens für immer in sich verschlossen und nie wieder geöffnet.

Nach der Trennung wurde Evi dann sehr dünn und sah ganz anders aus. Sie fuhr oft allein in den Urlaub. Auf einem Foto von ihr an einem Strand im Gegenlicht bei Sonnenuntergang sah sie so aus, als ob sie nackt wäre. „War ich ja auch!“ sagte sie und lachte ihr schallendes Gelächter. Da war sie schon 50 und ich konnte mir damals nicht vorstellen, dass man sich in dem Alter noch nackt am Strand fotografieren lässt. Und von wem überhaupt? Erst heute, selbst Ende 50, kann ich mir das und noch mehr vorstellen.

Im Laufe der Zeit wurde Evi dann krank. Sie war zu dünn, aß und trank kaum. Brigitte musste einmal den Notarzt rufen, als sie ihre Schwester besuchte.

2010 habe ich meine Tante Evi zum letzten Mal getroffen. Damals ist mein Opa im Alter von 91 allein nach Berlin gereist, um seine Töchter und mich noch einmal zu sehen. Wir trafen uns zu viert in einem Restaurant. Evi ging es zum dem Zeitpunkt wieder besser. Kurz danach muss sie in das Seniorenhaus in Spandau in der Nähe ihrer Schwester Brigitte gezogen sein. In Ihren letzten Lebensjahren litt sie an COPD und wurde erneut sehr dünn.

Die Schwestern sahen sich zwar in unregelmäßigen Abständen, aber Brigitte stellte fest, dass Evi sich noch mehr zurückzog und immer verbitterter wurde, am Ende wahrscheinlich sogar verwirrt. Keine Kontakte, kein Telefon, alt, arm und krank – wie kann es einem damit gehen? Gut bestimmt nicht.

Ich habe ihr immer wieder zum Geburtstag und zu Weihnachten geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten und es dann irgendwann aufgegeben.

Als im März 2020 Evi`s Vater im Alter von 100 Jahren in Düsseldorf starb, habe ich wieder Kontakt zu Evi aufgenommen, weil ich wissen wollte, auf welchem Friedhof sie ihn hat bestatten lassen. Das Evi ihren Vater hat bestatten lassen, ist ein kleines Wunder. Einerseits wollte sie erst nicht, weil ihr Vater sie und ihren kleinen Bruder in der Kindheit so schwer verprügelt hatte, dass Evi bis zu ihrem Lebensende einen Hörschaden hatte, andererseits hat sie es dann trotz Geldmangel doch getan, ihn aber nicht in Düsseldorf bestatten lassen, wo er die letzten 40 Jahre lebte, sondern in Berlin, wo er nie gelebt hat... Ich hatte Glück und Evi gab mir die Information per Post.

Im Zuge der Umstände des Todes von meinem Opi habe ich dann versucht, Evi`s Sohn André aufzutreiben, der ja durch die Trennung seiner Eltern und den Umzug seit über 40 Jahren gar keinen Kontakt mehr zu uns hatte. Brigitte war sehr dafür, weil sie mit Anfang 80 auch nicht wusste, wie lange sie noch Zeit haben würde, ihre Erinnerungen an ihre Schwester mit ihrem Neffen zu teilen. Gleichzeitig hatte Brigitte die Hoffnung, dass Evi vielleicht durch den Kontakt zu ihrem Sohn in einem Anfall von Altersmilde ihr Schweigen brechen und sich die Last ihres Lebens von der Seele reden würde.

Ich habe meinen Cousin André tatsächlich im Internet gefunden und angeschrieben. Anfangs war er durchaus neugierig bezüglich seiner verschollen geglaubten Familie. Sein Vater hatte ihm nie von seiner Mutter erzählt, er erinnerte sich kaum an sie, wollte aber Kontakt aufnehmen, um etwas über sich und seine frühe Kindheit zu erfahren. Dazu kam es dann nicht mehr, weil Evi starb.

Ich kann nur mutmaßen, was dann passierte. Brigitte hatte erzählt, dass Evi kaum noch Geld hatte und sich vermutlich auch aus Scham immer mehr zurückzog. Ich vermutete, dass Evi fast alles verkauft haben muss, um die Beerdigung ihres Vaters zu zahlen, obwohl Brigitte und ich uns angeboten hatten, die Kosten zu teilen.

Da mein Cousin der einzig lebende Verwandte in direkter Linie ist, wurde er von den Behörden aufgefordert, seine Mutter bestatten zu lassen. Im Zuge dessen musste er auch ihre Wohnung in Spandau auflösen. Das eine geht nicht ohne das andere. André kam also nach Berlin, wir hatten uns locker verabredet, aber als er in Berlin war, meldete er sich nicht und reagiert seitdem auch nicht auf SMS oder E-Mails. Ich vermute, er muss den Schock seines Lebens bekommen haben, sollte er die Wohnung seiner Mutter tatsächlich persönlich betreten haben.

Das entschuldigt aber nicht, dass er weder mir als Cousine noch seiner Tante mitteilte, wann und wo er seine Mutter hat bestatten lassen. Ich habe ihn regelrecht angefleht, weil Tante Brigitte nach ihrem Schlaganfall immer wieder „fi,fi,fi“ stammelte. Da sie zwar nicht sprechen konnte, aber trotzdem alles verstand, habe ich sie dann gefragt, ob sie damit Evi meint. Tante Brigitte nickte vehement. Ob sie wissen wolle, wo „fi,fi,fi“ begraben ist? Wieder nickte sie vehement.

Hätte ich erfahren wo Evi bestattet wurde, dann hätte ich Brigitte mit ihrem Rollstuhl in ein Auto verfrachten können, zum Friedhof fahren und dort zusammen mit ihr ihrer Schwester Evi die letzte Ehre erweisen können. Ich glaube, Brigitte wäre dann weitaus beruhigter gestorben, als sie es dann tatsächlich tat.

Zwar habe ich alles versucht, um herauszufinden, wo meine Tante Evi ihre letzte Ruhe gefunden hat, aber ich kann niemanden zwingen, mir zu antworten. Offenbar hat André von seiner Mutter ihre Sturheit geerbt.

Ich hoffe, dass wenigstens diese Zeilen ein Leben beleuchten, dass leider sehr einsam und allein zu Ende gegangen ist. Wie viel Anteil Evi daran selbst hatte, ist jetzt gar nicht mehr wichtig. Denn sie war eine von uns, sie hat gelebt und sie hat etwas hinterlassen:

Bei mir die Trauer darüber, dass ich sie nicht zusammen mit Brigitte verabschieden konnte und einen Sohn. Und der wäre nicht da, hätte es Evi nicht gegeben. Und Evi hat zwei Enkelkinder. Sie hat sie zwar nie kennen gelernt, aber auch diese beiden würde es ohne Evi nicht geben.

Ich wünsche meiner Tante sehr, dass sie dort, wohin auch immer sie gegangen ist, ihren Frieden mit sich machen konnte. Zu Lebzeiten hat sie das leider nicht geschafft.

Mein verstorbener Mann hat immer gesagt „Mit dem Tod hört alle Feindschaft auf“. Dieses Zitat von Manfred Rommel möchte ich an dieser Stelle meinem Cousin André mitgeben. Selbst wenn Evi verbrannte Erde in seiner Seele hinterlassen haben sollte, jetzt ist sie tot. Man muss sie deshalb trotz ihrer Fehler und Versäumnisse nicht auf einen Sockel stellen, aber man sollte verzeihen können. Sonst macht man eventuell genau die gleichen Fehler.

Deine Nichte Diana










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