Christian
Trox

Von in Liebe 15.11.2016 um 14:53 Uhr | melden

Herbstblätter auf dem Friedhof

Es ist ein sonniger Spätherbsttag. Eva und Felix begleiten Onkel Richard auf den Friedhof zu Tante Hannas Grab. Viele gelbe Blätter liegen auf den Wegen, und Eva und Felix haben Spaß daran, durch die raschelnde Blätterdecke zu schlurfen.
„Es riecht nach Herbst“, sagt Onkel Richard. „Ein würziger Geruch.“
„Das sind die toten Blätter“, meint Felix. „Die riechen faul wie alles tote Zeug.“
„Arme Blätter! Immer müssen sie im Herbst sterben.“ Eva seufzt.
„Die finden das bestimmt nicht schlimm. Sie wissen, dass im Frühling wieder neue nachwachsen werden“, überlegt Felix.
Eva nickt. „Und wie ist es mit den Menschen?“
„Auch Menschen leben weiter. Jeder auf seine Weise“, sagt Onkel Richard.
Sie sind vor Tante Hannas Grab angelangt. Vorsichtig fegt Eva die Blätter vom Grab
„Wie leben Menschen weiter?“
„In ihren Kindern, in der Erinnerung, in Dingen, die sie im Leben geschaffen haben.“
„Tante Hanna auch?“
Da lächelt Onkel Richard. „Wären wir sonst heute hier? Tante Hanna ist immer in meinen Gedanken. Manchmal spreche ich auch mit ihr. Da sind auch so viele Dinge, die an sie erinnern. Die Fotos, die Bücher, die Tischdecke, die sie gestickt hat, die Gartenbank …“
„Und das Herz mit dem Namen ‚Hanna‘ im Nussbaum“, ruft Eva.
„Und der Himbeersoßenfleck,“ Felix muss lachen. „Wisst ihr noch, wie Tante Hanna gestolpert ist und den Teppich mit der Himbeersoße bekleckert hat. Was haben wir gelacht!“
„Am meisten“, erinnert sich Onkel Richard, „hat Tante Hanna selbst darüber gelacht. ‚Was bin ich doch für ein Schussel!‘, hat sie gesagt.“
„Das war lustig.“
Eva und Felix lachen, und irgendwie ist es, als wäre Tante Hanna bei ihnen und lachte mit.
Da wird Eva auf einmal sehr ernst. „Ich glaube“, sagt sie leise, eben hat sie mitgelacht. Ich habe sie gehört. Ganz bestimmt.“
„Ich auch“, murmelt Onkel Richard, und eine Träne rollt über seine Backe. „Und jetzt lasst mich ein wenig alleine mit Tante Hanna, ja?“

Elke Bräunling