Mit einem Geschenk hinterlassen Sie Ihr persönliches Zeichen in Gedenken an Anschlag Aschaffenburg. Veredeln Sie jetzt für 2,99 Euro diese Gedenkseite durch ein Geschenk in Ihrem Namen.
von Quelle Tagesspiegel am 26.01.2025 - 13:30 Uhr | melden
Enamullah Omarzai
Als Tätverdächtigen des Messerangriffs in Aschaffenburg hat die Polizei nur wenige Minuten nach der Tat den 28 Jahre alten afghanischen Asylbewerber Enamullah O. festgenommen. Am Donnerstagabend wurde er auf Anweisung des Amtsgerichts in eine Psychiatrie eingewiesen. Inzwischen ist klar, dass er seit seiner Ankunft in Deutschland immer wieder durch Gewalt auffiel – und zuletzt eigentlich im Gefängnis hätte sitzen müssen.
Die Tagesspiegel-App Aktuelle Nachrichten, Hintergründe und Analysen direkt auf Ihr Smartphone. Dazu die digitale Zeitung. Hier gratis herunterladen.
November 2022: Eingereist ist Enamullah O. wohl im November 2022 über die Balkanroute. Einen Asylantrag stellte er Anfang 2023. Nach den Dublin-Regeln wäre allerdings Bulgarien für seinen Fall zuständig gewesen, dort wurde er erstmals auf europäischem Boden registriert. Die bulgarischen Behörden sollen einer Rücküberstellung auch zugestimmt haben. Woran eine Abschiebung am Ende scheiterte, ist bislang unklar. Nach Ablauf einer Frist wurde Deutschland für ihn zuständig.
4. März 2023: O. wird erstmals straffällig. Das Amtsgericht Schweinfurt bestätigte dem Tagesspiegel, dass gegen den Verdächtigen ein Strafbefehl wegen einer „tätlichen Auseinandersetzung“ in einem Asylzentrum ergangen war. Gegen ihn wurde eine Geldstrafe von 80 Tagessätze zu je zehn Euro verhängt, die er jedoch nie bezahlte.
18. Januar 2024: Das Amtsgericht bestätigte weiter eine polizeiliche Unterbringung in Werneck. Unklar ist, welche Tat dem vorausging. Wie der „
Focus“ berichtet, soll O. mehrmals gewalttätig gegenüber Nachbarn geworden sein. Bei einem Vorfall habe er eine Ukrainerin gewürgt, die ebenfalls in der Asylunterkunft in einem ehemaligen Hotel in Alzenau untergebracht war. Unter anderem deshalb sei die Polizei auch mehrfach ins „Hotel Bretzl“ ausgerückt.
Mindestens einmal sei der Tatverdächtige von der Polizei mitgenommen worden, aber am nächsten Morgen bereits wieder zurückgekehrt. Ein Sprecher der Polizei Unterfranken bestätigt zwei Fälle leichter Körperverletzung und einen der schweren Körperverletzung, ohne Details zu nennen.
12. Mai 2024: Die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg bestätigte zwei laufende Verfahren wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie Beleidigung. Nach Informationen der „
Bild“-Zeitung schlägt O. damals unter Cannabis-Einfluss auf Polizisten in einem Revier ein. Als er daraufhin auf den Boden gebracht wurde, soll er versucht haben, die Waffe aus dem Holster einer Polizistin an sich zu reißen. Er kommt kurzzeitig in eine psychiatrische Klinik.
Psychische Gesundheit von Geflüchteten „Wenn Sie Flashbacks haben, können Sie sich nicht gut integrieren“
6. Juni 2024: Der 28-Jährige soll sich am Hauptbahnhof von Aschaffenburg vor zwei Polizisten entkleidet haben und gewalttätig geworden sein.
1. Juli 2024: Das Amtsgericht Aschaffenburg bestätigte einen weiteren, ebenfalls mit einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen geahndeten Strafbefehl wegen „versuchten Betrugs mittels falschen Fahrscheins“ vom 12. Februar 2024, der nun wirksam wird.
2. August 2024: O. randaliert erneut in Alzenau vor der Asyl-Unterkunft, beschädigt ein Auto und wird gewalttätig. Kurzzeitig kommt er wieder in die Psychiatrie. Am Amtsgericht ist ein Verfahren zu dem Fall anhängig.
29. August 2024: Eine Anwohnerin aus der Ukraine, die im ehemaligen „Hotel Bretzel“ in Alzenau untergebracht wurde, sagte der „Bild“ dass O. mehrmals gewalttätig wurde und es sogar bereits einen Vorfall mit einem Messer gab: „Er schnitt einer Landsfrau von mir immer wieder in die Haut. Sie schrie um Hilfe, ich alarmierte die Polizei.“ Doch kurz darauf bezog Enamullah O. offenbar wieder sein Zimmer im zweiten Stock der Unterkunft.
Der Oberstaatsanwalt Marco Schmidt sagte der Zeitung: „Der von einer Zeugin heute geschilderte Vorfall, bei dem eine weitere Bewohnerin der Flüchtlingsunterkunft vom Beschuldigten mit einem Messer verletzt worden sein soll, war den Ermittlungsbehörden bislang nicht bekannt. Er wird selbstverständlich Gegenstand der weiteren Ermittlungen sein.“
2. Dezember 2024: Da O. die erste Geldstrafe aus dem Januar nicht gezahlt hat, verhängt die Staatsanwaltschaft Schweinfurt eine Ersatzfreiheitsstrafe von 40 Tagen. Bis zum 1. Februar 2025 hätte er im Gefängnis sitzen müssen.
Vor allem Türken und Georgier Zahl der Abschiebungen 2024 um mehr als 22 Prozent gestiegen
4. Dezember 2024: Das bayrische Innenministerium bestätigt dem Tagesspiegel, dass O. seine freiwillige Ausreise aus Deutschland ankündigte. Daraufhin ordnet das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration im Regelfall eine Ausreisepflicht an. Dafür gibt es finanzielle und organisatorische Unterstützung für eine Rückkehr ins Heimatland. Nach Angaben von Bayerns Innenminister Joachim Hermann will O. daraufhin die notwendigen Papiere beim afghanischen Konsulat beantragen, tut dies aber nicht.
9. Dezember: Das Amtsgericht Aschaffenburg ordnet eine Betreuung von Enamullah O. an, da der aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage war, seine Angelegenheit rechtlich zu besorgen. Daraufhin habe er jedoch einen Termin mit seiner Betreuerin versäumt. Weitere Kontaktaufnahmen mit ihm verliefen erfolglos.
Das Gericht betonte auf Anfrage des Tagesspiegels, dass das Ziel der Betreuung „die Unterstützung des Betreuten“ und „nicht der Schutz Dritter“ war: „Rechtliche Betreuung bedeutet weder eine engmaschige Aufsicht des Betreuten und erst recht keine ‘Aufsicht rund um die Uhr’“. Aufgabe eines solchen Betreuers sei es, sich um die ärztliche Behandlung des Betreuten zu kümmern, sofern der Betreute hierzu nicht mehr imstande ist, nicht aber diesen gesundheitlich selbst zu betreuen.
23. Dezember 2024: O. soll seine Ersatzhaftstrafe antreten, er erscheint jedoch nicht. Dennoch erließ die Justiz keinen Vollstreckungsbefehl, obwohl sein Aufenthaltsort in der Asylunterkunft bekannt war. Der Grund war der im Februar ergangene und im Juli wirksam gewordene Strafbefehl wegen Betrugs. Da er diesen ebenfalls nicht bezahlte, hatte sich rechtlich eine „Gesamtstrafenlage ergeben“, erläutert Oberstaatsanwalt Markus Küstner von der Staatsanwaltschaft Schweinfurt.
In diesem Fall schreibt das Gesetzbuch die Berechnung einer Gesamtstrafe aus den beiden nicht bezahlten Strafen vor, bevor ein Vollstreckungsbefehl ergeht. Das tat die zuständige Bürokratie seit dem Wirksamwerden der zweiten Strafe im Juli sechs Monate lang jedoch nicht: „Unter anderem wegen erforderlicher Zustellungen und Übersetzungen, die Zeit in Anspruch nehmen“, so Küstner. Da die Gesamtstraflage nicht ermittelt wurde, sitzt O. am Tatzeitpunkt nicht in Haft.